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Kultur: Francesca Zambello inszeniert Poulencs Oper "Dialoge der Karmeliterinnen" im Pariser Palais Garnier ohne modische Mätzchen

Vom 100. Geburtstag Francis Poulencs haben die Pariser nicht viel Aufhebens gemacht.

Vom 100. Geburtstag Francis Poulencs haben die Pariser nicht viel Aufhebens gemacht. Der Grund ist jedoch nicht Desinteresse, sondern das genaue Gegenteil: Poulenc bedarf keines runden Jubiläums, um auf dem Spielplan zu erscheinen. Seine "Dialoge der Karmeliterinnen", neben "Pelleas" und den beiden Ravel-Kurzopern Frankreichs wichtigster Beitrag zum Musiktheater des 20. Jahrhunderts, haben einen festen Platz im Repertoire. Unter den Opern der Nachkriegszeit gibt es keine andere, die sich einer vergleichbaren Popularität in Frankreich rühmen könnte.

Dabei war die Entstehung, wie schon ein flüchtiger Blick auf das Titelblatt der Partitur verrät, alles andere als leicht. Poulenc, der das Theaterstück von Georges Bernanos selbst für die Opernbühne einrichtete, musste sich mit drei weiteren Vorbearbeitern des Stoffs einigen. So mit Gertrud von Le Fort, in deren Novelle "Die Letzte am Schafott" (1931) die alte Geschichte - die Hinrichtung der Karmeliterinnen von Compiègne zehn Tage vor dem Ende der Schreckensherrschaft - wieder aufgewärmt wurde. In Compiègne lernt die Protagonistin Blanche, die aus Angst vor der Welt ins Kloster geflohen ist, die Angst vor dem Tode kennen, die sie am Ende siegreich überwindet. Die Todesangst ist das große Thema des Werks. Dass Bernanos es als Sterbender schrieb und dass Poulencs Lebensgefährte, während die Musik entstand, mit dem Tode rang, hat gewiss etwas mit der emotionalen Wucht der Oper zu tun.

Todeskampf der Priorin

Der bevorstehende Wechsel Seiji Ozawas vom Boston Symphony Orchestra an die Wiener Staatsoper hat manchen überrascht. Nicht die Pariser. Sie haben den japanischen Maestro regelmäßig am Pult ihrer Oper erlebt, nicht zuletzt bei der Uraufführung eines anderen hochkatholischen Werks, Messiaens "St. Franziskus von Assisi". Seit den Zeiten von Charles Munch haben die Bostoner aus französischer Musik so etwas wie eine lokale Spezialität gemacht. Ozawa, der die neue Inszenierung zunächst auf einem Festival in Japan vorstellte, beweist, dass die Tradition unter seiner Ägide lebendig geblieben ist. Poulencs von Debussy beeinflusste, durchsichtige und zugleich atmosphärisch dichte Tonsprache scheint ihm das vertrauteste Idiom der Welt. Das Orchester folgt ihm diszipliniert. Einige französische Kritiker monierten, dass die Hauptrollen mit Nicht-Franzosen besetzt sind. Aber selbst die übellaunigsten Nörgler mussten zugeben, dass Felicity Palmer aus dem Todeskampf der Priorin, Madame de Croissy, eine überwältigende Szene macht. Patricia Racettes Blanche bleibt dagegen etwas blass.

Berlioz behauptete, alle Bühnenbilder an der Pariser Oper sähen aus wie "ein von Truthähnen verwüstetes Erdbeerbeet". Es wäre unfair, das von Hildegard Bechtler dazuzurechnen. Ihre kahlen Drehwände ermöglichen rasche Szenenwechsel, haben allerdings den Nachteil, dass statt des Bühnenbildners der Zuschauer seine Phantasie anstrengen muss. Die Regisseurin Francesca Zambello hält ihre Neigung, aus jeder Oper ein feministisches Fanal zu machen, im Zaum und präsentiert Poulencs fromme Oper zügig und ohne sachfremde Mätzchen. Ja, sie hat nicht einmal Bedenken, Aktschlüsse in einem lebenden Andachtsbild erstarren zu lassen. Nur die hochdramatische Schlussszene war etwas zu zahm. Wie schon die Trikoteusen wussten, die strickend den Hinrichtungen beiwohnten: Der Effekt ist doppelt so groß, wenn man die Guillotine nicht nur hört, sondern auch sieht.

Jörg von Uthmann

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