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Das Krankenhauszimmer als letzte Station einer Liebe: In "Das letzte Zimmer" setzt sich Franck Hofmann mit dem Sterben auseinander.

© picture alliance / dpa

Franck Hofmanns "Aus dem letzten Zimmer": So weit die Worte reichen

Ein schöner Text über das Sterben, geht das? Der Literaturwissenschaftler, Essayist und Anthropologe Franck Hofmann schreibt mit "Aus dem letzten Zimmer" ein Abschiedsbuch.

Wir alle müssen eines Tages sterben und wissen das. Aber meist leben wir so dahin, als ob wir insgeheim nicht daran glauben. Auch dadurch gewinnt der Tod eine grausame Macht. Sie kommt zum Vorschein, wenn er einen anderen von unserer Seite reißt. Mit brutaler Endgültigkeit brechen dann zwei Leben gleichzeitig ab: das des Sterbenden und das eigene, das von dem gemeinsamen geprägt war.

„Vielleicht wollten wir uns beweisen, dass das Leben weiterginge, als wir uns auf den Weg nach Tunis machten“, schreibt Franck Hofmann, der das Sterben seines Freundes Gilles Bretin begleitet hat. Er nennt den Gefährten, mit dem er das Leben teilte, sehr selten auch Ehemann. Beide wissen, dass die Reise nach Tunis in eine Phase des Aufschubs fällt. Der Krebs ist unheilbar. Der letzten gemeinsamen Fahrt folgt noch einmal der Rückzug in die Heimat des Freundes, nach La Nallière im Westen Frankreichs. Dann werden die Schmerzen unerträglich und der Weg führt ins Krankenhaus. Und dort, im „letzten Zimmer“, während der eine den Verfall des Körpers und den Verlust der Selbstbestimmung erlebt, greift der andere zu einem Mittel, das ihm helfen soll, die Situation zu überstehen. Er schreibt auf, dass der Abbruch des Lebens unfassbar ist.

Als ihm diese Notizen wieder in die Hände fallen, arbeitet Hofmann schon elf Monate an dem Buch, das jetzt erschienen ist. Er hat sie in das Ganze einbezogen, und es kann gut sein, dass den Leser das Textgemisch irritiert. Vielleicht macht ihn auch die „bildkünstlerische Begleitung“ ratlos. Er stößt auf leere Seiten oder auf eine Fotostrecke, sodass er sich in den Anblick der Dinge vertiefen kann, die zu dem Leben gehörten, das 1964 beginnt und 2013 endet. Orte, Landschaften, Familienkonstellation – nur spärlich werden die Fakten hingetupft. Was bleibt, ist die atmosphärische Spur eines Menschen, der das Schöne mit allen Sinnen suchte.

Dem Verstorbenen ein Denkmal setzen

Hofmann, der das lineare Erzählen verweigert, lädt den Leser in seine Werkstatt ein. Er darf wissen, dass der Autor mit konträren Ansprüchen ringt. Einerseits möchte er die Erfahrung des Abschieds ohne Pathos bezeugen, in Form eines Berichts. Andererseits aber geht es ihm um eine individuelle Anstrengung, die in einer „persönlichen Stimme“ zum Ausdruck kommen sollte. Und weil der „Rückzug auf das Eigene“ zugleich etwas „Allgemeingültiges“ aussagen soll, kreiert Hofmann schließlich seine eigene Kategorie einer „Theorieerzählung, die über große Strecken im Personalstil gehalten ist und doch ein Ich nur fingiert“.

Auch die Frage des Sterbenden „Wirst du denn einen schönen Text für mich schreiben?“ macht ihm zu schaffen. Er bejaht sie spontan. Und bleibt doch skeptisch: „Kann man angesichts des Endes wirklich vom Schönen sprechen?“. Hofmann ist Literaturwissenschaftler, Essayist, Anthropologe. Kein Dichter oder Schriftsteller. Und überhaupt keiner, der sich einen Schmerz impulsiv von der Seele schreibt. Vielmehr hat er mit seinem Buch ein dreifaches Anliegen verbunden. Erstens will er dem Verstorbenen ein Denkmal setzen, dem Schrecklichen zum Trotz. Zweitens ist die Arbeit am Text ein Versuch, den Tod in seiner „hoffnungslosen Endgültigkeit“ zu ertragen, im Schmerz nicht unterzugehen. Dass es ihm tatsächlich geglückt ist, auf diese Weise aus dem „letzten Zimmer“ wieder herauszufinden, ins Leben zurück, gibt er sogar zu.

Von der Kunst des Sterbens

Kein Grund zum Triumph. Wohl aber zu einer „Allegria“. Einer Freude am Leben, die das andere kennt und anerkennt. Die den Tod einbezieht, um ihm das Fremde zu nehmen. Das dritte Anliegen gewinnt Kontur, wenn Hofmann an eine Kunst des Sterbens erinnert, die im Mittelalter mit dem Glauben an ein Weiterleben im Jenseits verbunden war, als Lohn für ein gottgefälliges Dasein. Was aber könnte eine ars moriendi unserer Gegenwart sein, in der die meisten in „metaphysischer Obdachlosigkeit“ leben?

Immer wieder fordert Hofmann dazu auf, die anthropologischen Möglichkeiten zu nutzen, die jeder hat, um der Macht des Todes nicht ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Aus seiner Sicht ist die Sprache entscheidend: „Der Mensch ist Mensch durch die Sprache. Und er ist es, wenn er diese Sprache, seine Fähigkeit, sich zur Sprache zu bringen, von seinem Ende her denkt, wenn er den Tod auszusprechen gelernt hat.“

Angelika Brauer

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