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Ranschmeißen bitte! Marc Hosemann spielt Solness und will gerne Frank genannt werden. Seine Sekretärin Kaja wird von Jeana Paraschiva mit irrwitziger Energie verkörpert.

© dpa

Frank Castorf und die Volksbühne: Und nun wieder zurück zu mir

Bis in die Puppen: Der Berliner Volksbühnen-Chef Frank Castorf inszeniert an seinem Haus Ibsens „Baumeister Solness“, setzt Henry-Hübchen-Puppen in die erste Reihe und reist in die eigene Vergangenheit.

Nach diesem Abend fühlt man sich alt. Was ja auch kein Wunder ist nach satten und matten vier Stunden Zermürbungsspiel, bis die zugemüllte Bühne für sich selbst spricht: Jetzt geht nichts mehr, das war’s, oder fast. Diese Umdrehung noch, und noch einmal hereinspaziert mit Kindergeburtstagskostümen und Gebrüll. Alles hat ein Ende, nur der Frank hat zwei. Oder drei. Oder keines...

Aber daran liegt es nicht, dass Castorfs Saisonfinale auf den Kopf drückt, nachdem man sich, jawohl, über kürzere und längere Strecken amüsiert hat wie lange nicht mehr. Frank Castorf kocht Vergangenheit auf mit dem ganz dicken Löffel. Gießt Selbstironie und auch Selbstekel aus, stellt sich selbst und sein Theater in den Mittelpunkt, das unbestritten einmal unser Lebensmittelpunkt war. Es beginnt mit der Stückauswahl. Seit Ewigkeiten inszeniert er mal wieder einen dramatischen Text, Ibsens „Baumeister Solness“. Der Norweger nimmt in Castorfs Künstlerbiografie eine besondere Stellung ein. Mit „Nora“ (Anklam, 1985) und einem „Volksfeind“ (Karl-Marx-Stadt, 1988) machte er in der DDR Furore. Mit „John Gabriel Borkman“, dem Drama des betrügerischen Bankiers, war er 1990 in Berlin angekommen, am Deutschen Theater.

Die enge Ibsen-Welt eignete sich hervorragend, eine ostdeutsche Kleinbürgergesellschaft zu provozieren, und „Borkman“ war damals eine Art Schlusspunkt. Horst Lebinsky spielte am DT, in einer umjubelten Aufführung, eine somnambule Honecker-Figur. Und jetzt ist er wieder da und gibt, völlig unbeteiligt, den Hausarzt. Und ein verschlafener, tief trauriger Volker Spengler tappst als alter Architekt und Solness-Lehrer durchs Bild, dass es einen barmt. Die Alten bekommen ihren Text souffliert, die Hänger sind herrlich inszeniert, und alsbald werden sie weggeräumt. Solness braucht Platz für seine Tobereien. Bei Ibsen kämpft der Baumeister mit dem Älterwerden und turmhohen Ansprüchen an sich selbst. Er leidet an Schwindelgefühlen, sehnt sich nach jugendlicher Kraft und Erotik und fürchtet sich davor.

Hier müsste das Stück nun „Intendant Solness“ heißen. Marc Hosemann, der mit seiner Geniebrille ein wenig aussieht wie I. M. Pei, will partout „Frank“ genannt werden. Frank Lloyd Castorf oder so. Der amerikanische Stararchitekt Frank Lloyd Wright war ja auch ein wahnsinniger Womanizer, der Schriftsteller T. C. Boyle hat ihm im Roman „Die Frauen“ ein fieses Denkmal gesetzt. Frank und die Frauen, das ist ein ewig junges Thema.

Man muss nur sehen, wie sich Kaja Fosli, Solness’ Sekretärin, an den Baumeister ranschmeißt, an ihm klebt – und er sie abschüttelt wie einen lästigen Fan. Jeana Paraschiva, kleine Hexe mit irrsinniger Energie, schafft das Kunststück, diesen Part mit lustiger Intelligenz zu spielen. Sex – wenn man das überhaupt so nennen will – ist Akrobatik, Slapstick, die Ehefrau von Solness schiebt sich in Gestalt von Daniel Zillmann als schwabbeliger, dicker Typ mit Perücke immer dann nach vorn, wenn es gar nicht passt. Es sieht nach chaotischer Klamotte aus, wobei der Boulevard meist davon handelt, dass es zu wenig Sex gibt, während die Solness-Family eher unter Überdruss leidet.

Am Ende ist es Kathrin Angerers Abend: Sie ist eine große Schau

Ihre Schau: Kathrin Angerer als Hilde Wangel.
Ihre Schau: Kathrin Angerer als Hilde Wangel.

© dpa

Frank Castorf wird demnächst 63 Jahre alt oder jung, er leitet die Volksbühne seit 1992, sein Vertrag läuft bis 2016. Dieser „Solness“ kann als dringende Bitte verstanden werden, ihn endlich aus der Pflicht zu entlassen. Das Gegenteil stimmt aber auch. Ich und Ibsen, ein Bewerbungsschreiben: Warum aufhören, jetzt wird es erst richtig spaßig. Aber nur, wenn man sich ein wenig auskennt am Rosa-Luxemburg-Platz. Bert Neumanns Bühne ist dem Intendantenzimmer nachempfunden, das braune Holz, die Besetzungscouch. Die häufig erwähnte „Frau Becker“ oder „Elke“ gibt es auch im wirklichen Volksbühnen-Leben im Vorzimmer, sie ist eine Institution und lässt, zu Hosemanns und Castorfs und Solness' Ärger, angeblich immer zu viele Hospitanten durch. Verdammte Jugend, überall.

Kokett war Castorf immer. Manchmal ging es auch noch um etwas anderes als das nervige, großartige, mächtige, ausgepumpte Frank-Reich. Wer aber gedacht hat, Castorf könnte sich im „Baumeister Solness“ irgendwie mit Berlin und Gentrifizierung beschäftigen, sieht sich getäuscht. Am Rande macht Hosemann, wenn er nicht Hitler oder Rühmann markiert, auch den Wowereit, den Roboter, der „Schönefeld“ skandiert. „Ich gebe nicht auf, ich bin der Klaus. Ich bin ein Flugzeug.“ Aber das war es schon. Zurück zur Volksbühne, zu Frank. Und zu Henry.

In der ersten Reihe sitzen weißhaarige ältere Männer. Ein ganzer Trupp verblüffend gut getroffener Henry-Hübchen-Puppen in Lebensgröße. Der Schauspieler, einst Castorfs erster Protagonist und Alter Ego, hat das Haus lange verlassen. Jetzt gibt es Haue. Die Puppen werden herumgeschleudert, ausgezogen, gestapelt, getreten – und Henry wird vermisst. Vor allem von Kathrin Angerer. Es ist ihr Abend. Sie ist eine große Schau.

Castorfs Hauptdarstellerin und frühere Lebensgefährtin spielt Hilde Wangel, die junge Frau, die Solness die Jugend wiederbringt. Und den Tod. Kathrin Angerer bewegt sich souverän, so sarkastisch wie nötig, so liebevoll wie möglich, durchs sumpfige Gelände. Sie schlüpft noch einmal in die Girlie-Posen von einst und ist doch weit entfernt von der „schönen Zeit“. Da gab es noch keine Videokameras und Screens auf der Bühne, und siehe da: Die Uhr wird weit zurückgedreht, Castorf verzichtet diesmal auf Technik, allein die Hübchen-Puppen stehen, liegen, sitzen, fallen als Ebenbild ins Auge. Castorf, ein Puppenheim.

Jede Menge Trash und Zitate wirft er in die Intendantenzimmerschlacht. Auf einem winzigen Fernseher läuft „In aller Freundschaft“, die Krankenhausserie. Blöde alte Lieder von Freddy Quinn werden eingespielt, dämliche Sprüche über Horst Wessel geklopft (der Rosa-Luxemburg-Platz hieß in der Nazi-Zeit Horst-Wessel-Platz). Es kommt auch der gute alte Blecheimer zu Ehren und die Pfanne mit den verbrutzelten Eiern, wie früher . Nach einer Stunde sagt Marc Hosemann: „Anstrengend, der erste Akt, völlig sinnlos“. Und schätzungsweise zwei Stunden später bemerkt Kathrin Angerer: „Irgendwie alles viel zu privat“. Die Kritik hat Castorf gleich mit inszeniert. Bleibt noch zu sagen: auch irgendwie alles zu harmlos, und zu lang sowieso.

Wie „Frank“ und „Klaus“ einander doch gleichen. Zwei müde Helden, von denen die Stadt nicht lassen kann; diese aufreizende Mischung aus Müdigkeit, Gravitation und Angriffslust, die auf die eigene Person zielt und die anderen meint. Castorf sieht blendend aus, braun gebrannt, wie frisch aus dem Urlaub, als er zum Applaus erscheint. Wen hat er jetzt verarscht? Sich selbst? Uns? Nach diesem Abend fühlt man sich jung. Nicht mehr frank, sondern frei. Wie Mephistopheles sagt, nach einem Besuch beim Herrn im Himmel: „Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern.“

Wieder am 31. Mai, 6., 13. und 27. Juni sowie 6. Juli, jeweils 19.30 Uhr

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