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Victor Frankenstein (Federico Bonelli, vorn) mit der von ihm erschaffenen Kreatur (Steven Rae).

© Bill Cooper

"Frankenstein"-Ballett im Kino: Das Monster tanzt

Kinoabend für Ballettfreunde: Das Londoner Royal Opera House zeigt Liam Scarletts Choreografie „Frankenstein“ – als Live-Übertragung auf 1500 Leinwänden weltweit.

Von Sandra Luzina

Man muss nicht extra nach London fliegen, um das weltberühmte Royal Ballet zu erleben. Die superben Tänzer kann man sich auch auf der Kinoleinwand anschauen. Die Live Cinema Season des Royal Opera House umfasst neben Übertragungen von sechs Opern auch sechs Ballett-Produktionen. Nicht nur Klassiker wie „Giselle“ oder „Romeo and Juliet“ wurden ausgewählt. Am 18. Mai wird mit „Frankenstein“ eine brandneue Kreation zu sehen sein – nicht nur in der Londoner Oper, sondern auch in 1500 Kinos weltweit.

Der 29-jährige Choreograf Liam Scarlett, der als Wunderkind gefeiert wird, hat sich von Mary Shelleys Gruselklassiker zu einem abendfüllenden Ballett inspirieren lassen. Die Musik hat der amerikanische Komponist Lowell Liebermann geschrieben. Der Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ von 1818 ist bereits mehrfach verfilmt worden, Boris Karloffs Darstellung des Monsters gilt als ikonisch. Liam Scarlett geht es nun weniger um Horroreffekte, obwohl schon zu Beginn die Blitze am Nachthimmel zucken. Für ihn ist die Liebe der Schlüssel zu der gothic novel. Der künstliche Mensch, den der Schweizer Forscher Victor Frankenstein erschafft, ist bei Scarlett eine tragische Kreatur, die sich vergeblich nach der Zuneigung seines Schöpfers sehnt.

Das Ballett spielt zunächst in Genf, auf dem Landsitz der Familie Frankenstein. Der Prolog zeigt den kleinen Victor in die Lektüre vertieft, bis ihm Elizabeth, seine spätere Braut, das Buch stiebitzt. Federico Bonelli leiht dem angehenden Studenten eine schöne Ernsthaftigkeit. Etwas zu ausführlich schildert Scarlett die Familienidylle im Hause Frankenstein, lässt die Dienstmädchen einen beschwingten Tanz hinlegen.

Der verrückte Professor experimentiert mit Leichenteilen

Der erste Pas de deux zwischen Bonelli und Laura Morera als Elizabeth ist zunächst eine zarte Annäherung, die sich bis zum Liebesrausch steigert. Als seine Mutter bei der Geburt ihres zweiten Kindes jedoch stirbt, ist Victor tief erschüttert. Der tragische Verlust, so deutet Scarlett es an, ist die eigentliche Motivation für Victors spätere Experimente mit einem künstlichen Menschen.

Packend die Szene im Anatomiesaal der Universität Ingolstadt, wenn der verrückte Professor vor seinen Studenten mit Leichenteilen und riesigen elektrischen Apparaturen experimentiert. Es blitzt und zuckt, wenn Frankenstein bei Nacht der toten Materie Leben einhaucht. Das legendäre Monster auf der Bühne zu reanimieren, ist für den Choreografen eine diffizile Operation. Die Hybris des Wissenschaftlers, der sich zum gottgleichen Schöpfer aufschwingt, vermisst man bei Federico Bonelli, doch gerade Steven Rae als Kreatur ist fantastisch, mitleid- und furchterregend zugleich mit seinen groben Nähten. Als Victor erkennt, was er da schuf, ist er geschockt – und auch seine Kreatur zeigt sich erschrocken, als der Schöpfer sich schaudernd abwendet.

Zu einem Leben in Einsamkeit verdammt, lauert das Monster Victor später auf. Dessen Liebe und Mitgefühl kann er niemals erringen, also nimmt er ihm das Liebste, greift sich erst den kleinen Bruder beim Blinde-Kuh-Spiel und dann Victors geliebte Elizabeth. Sie muss einen Pas de deux mit dem Monster absolvieren, das mit ihr Katz und Maus spielt.

Die Met und das Bolschoi Theater übertragen schon lange in Kinos

Zwar setzt Liam Scarlett nur in einigen Szenen den Fuß in die schwarzen Gefilde der Schauerromantik, aber die Tänzer des Royal Ballet machen ihre Sache exzellent. Wovon sich am 18. Mai ein großes, internationales Publikum selbst überzeugen kann. Das Royal Opera House, der jüngste Mitspieler im exklusiven Zirkel der Opernbühnen und Konzerthäuser, die Live-Übertragungen ins Kino veranstalten, strahlt sein Programm seit 2012 aus. Die New Yorker Met als internationaler Marktführer ist bereits seit 2005 aktiv, die Berliner Philharmoniker übertragen Konzerte seit 2010. Seit sieben Jahren ist auch das Moskauer Bolschoi Ballett auf der großen Leinwand dabei.

Alex Beard, Geschäftsführer des Royal Opera House, ist begeistert von der neuen Technologie. „Oper und Ballett sind außergewöhnliche Kunstformen. Wir bringen die besten Künstler der Welt auf der Bühne zusammen – wenn wir das mit der ganzen Welt teilen können, ist das genial.“ Ein Ersatz für einen Opernbesuch sei die Live-Übertragung allerdings nicht. „Aber Bild und Sound“, sagt Beard, „haben heute eine so hohe Qualität, dass der Kinobesuch eine ganz eigene, wunderbare Erfahrung darstellt.“

Bis zu zwölf Kameras fangen die Inszenierung gleichzeitig ein

Das Royal Opera House strahlt sein Programm in 470 Kinos in Großbritannien aus, das Publikum wächst jährlich um zehn Prozent. In Deutschland beteiligen sich 90 Kinos. Nun beschert dieses Programm den Opern nicht unbedingt ein jüngeres Publikum. Doch Beard hofft, dass überhaupt neue Zuschauer angelockt werden, die es dann vielleicht auch mal direkt in die Oper oder zum Ballett verschlägt.

Die Live-Übertragungen sind technisch aufwendig. Bis zu zwölf Kameras filmen simultan, weshalb die Bühnen vorab ein Konzept erarbeiten müssen. Große Oper im Kino – das hat sich zu einem stabilen Geschäft entwickelt. „Unser Ziel ist es, die Kosten einzuspielen“, erklärt Beard und lacht. Reich wird die Royal Opera nicht damit.

„Frankenstein“ am Mittwoch, 18.5., 20.15 Uhr in den Berliner Kinos Cubix, Cinemaxx Potsdamer Platz, Colosseum, Astor Film Lounge, Titania, Gropius Passagen, Eastgate, Cinestar Berlin Tegel

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