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© ddp

Frankfurt: Ein letzter Rundgang über die Buchmesse

Zwischen Pop und Politik: Nick Cave, Herta Müller und die Chinesen – ein letzter Rundgang über die Frankfurter Buchmesse.

Drei Minuten wolle er lesen, sagt Nick Cave, als er im hellen Anzug und mit inzwischen gut gelichteten Haaren auf die kleine Bühne eines Barrestaurants in Frankfurt-Bornheim kommt. Es werden dann ein paar mehr, doch wichtiger an diesem Abend ist sowieso: Nick Cave ist in der Stadt, auf der Buchmesse! Ein PopMusiker, der auch schreiben kann und dessen Roman „Der Tod des Bunny Munro“ von seinem Verleger Helge Malchow zwar nicht gleich in die Nähe von Weltliteratur, aber in allerhöchsten Tönen gelobt wird!

Von einem „auratischen Moment“ sprechen später ein paar Zeugen der Kurzlesung, was übertrieben ist, aber gut zum Buchmessentreiben passt, das genau von solchen Momenten lebt: davon, dass Herta Müller nach ihrer kurzen Erkrankung tapfer ihre zahllosen Termine absolviert, dass Günter Grass den fünfzigsten Geburtstag seiner „Blechtrommel“ feiert. Oder dass Frank Schätzing in der täglichen, voller Klatsch und Tratsch steckenden Buchmessenzeitung der „FAZ“ seinen makellosen, durchtrainierten Körper präsentiert, der in Wirklichkeit trotz eleganter Anzüge gar nicht so makellos und durchtrainiert zu sein scheint.

Es ist diese Popstar-Aura vieler Autoren, die ein Teil des Buchmessewesens ausmacht. Gerade in diesem Jahr bildete sie ein wohltuendes Gegengewicht zur Krisenstimmung der Branche, zur EBook-Zukunft und insbesondere zum kontrovers diskutierten Auftritt des Gastlandes China. Das E-Book, das zeigte die Messe deutlich, wird bald zur Grundausstattung eines jeden Haushalts gehören, so wie der MP-3-Player. Auf der von dem amerikanischen Informatikbuch-Verlag O`Reilly ausgerichteten Konferenz „Tools of Change for Publishing“ konnte man erfahren, wie die Verlagswelt der Zukunft aussehen wird, in der sich Verlage zu Dienstleistungsunternehmen entwickeln . Dazu passte, dass die vom Börsenverein eingerichtete E-Book-Platform „libreka“ täglich ein Buch zum kostenlosen Download anbot, darunter Herta Müllers „Atemschaukel“. Der Ansturm war in diesem Fall so groß, dass der Server zusammenbrach. Das Interesse also ist da, nur die entscheidende Frage, wie und wann mit den E-Books und dem digitalen Vertrieb von Bücher Geld verdient werden kann, die blieb unbeantwortet.

Wurde das Thema E-Book fast schon geschäftsmäßig behandelt, so schieden sich im Fall von China die Geister. Das diesjährige Gastland hatte die Messe fest in seinem Griff. Das konnte man schon vor dem Eingangsbereich sehen, wo täglich Menschen für ein freies Tibet demonstrierte. Oder andere Exemplare der Zeitung „The Epoch Times“ verteilten, auf deren Titelseite groß die Worte „Buch“, „Zensur“ und „China“ prangen und der Schriftsteller Bei Ling in einem Essay von seiner Haftzeit in einem chinesischen Gefängnis berichtet.

„Das andere China“, riefen die Zeitungsverteilerinnen immer wieder – aber welches ist das eine und welches das andere China? Gerade Bei Ling war es, der vor einem Monat den Anstoß gab für die heftig geführten Diskussionen rund um den Ehrengast. Seinerzeit war der Autor, ebenso wie seine Kollegin Dai Qing, zunächst zum Symposium „China und die Welt“, das den Ehrengastauftritt feierlich einläuten sollte, eingeladen und dann auf Druck der offiziellen chinesischen Delegation wieder ausgeladen worden. Besser gesagt: Die bereits ausgesprochene Einladung war nicht wiederholt worden. Allein schon das verbale Geeiere zeigt, welche diplomatische Last sich die Buchmesse aufgeladen hatte. Zu viel, um sie tatsächlich stemmen zu können. Einem propagandistisch bestens aufgestellten Regime, noch dazu in Verbindung mit einem fremden Kulturkreis, kommt man nicht so leicht bei, trotz guten Willens.

Immerhin raffte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Eröffnungsfeier zu der Bemerkung auf, dass sie aus eigener Erfahrung wisse, dass Bücher geeignet seien, Diktaturen zu stürzen. Das war, wie man hörte, schon zu deutlich für den in der ersten Reihe sitzenden stellvertretenden Staatspräsidenten Xi Jinping. Zum Eklat aber kam es nicht, auch in den folgenden Tagen nicht. Nur Gerüchte gab es immer wieder, wobei es schon Bände sprach, dass der chinesische Auftritt ausgerechnet in Händen der obersten chinesischen Zensurbehörde GAPP lag. Bereits am Mittwoch beschwerte diese sich, die deutschen Medien würden den Ehrengast einseitig kritisieren, anstatt, wie man erwarten dürfe, die chinesischen Autoren ins rechte Licht zu rücken.

Die Selbstdarstellung des Ehrengastes im Forum der Frankfurter Buchmesse war tatsächlich ein Fest für die Augen: Tradition und Innovation, moderne Lesegeräte und große Holzlettern, prachtvoll, ästhetisch reizvoll. Im Gegensatz zu so manchen kuriosen Menschen auf dem Podium, die etwa den Unterschied zwischen China und dem Westen mit Hilfe eines Flipcharts erklärten: Im Westen gäbe es immer mindestens zwei Parteien, A und B, die sich gegenseitig schlecht machen würden, damit das Volk sie und nicht die anderen wählt. In China hingegen existiere nur die eine Partei, die sich aber zu beiderseitigem Nutzen im permanenten Austausch mit dem Volk befände.

Einige hundert Meter weiter, am im Halle 3 gut versteckten Stand des PEN, kamen jeden Tag Oppositionelle und Dissidenten zu Wort, beispielsweise Zhou Qing, der in der Gesprächsrunde „Literatur als soziales Gedächtnis“ davon berichtete, wie die Hungerkatastrophe der späten fünfziger Jahre bis heute offiziell als Naturereignis verkauft wird. Um das Gedächtnis geht es auch in Ma Jians umfangreichen Roman „Peking Koma“. Im Frankfurter Kunstverein sprach der Autor, der mittlerweile in London lebt, mit dem Sinologen Tilman Spengler über sein Buch, das die Ereignisse des 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens zum Thema hat. Noch heute, so berichtet Ma Jian, quartiere sich die Polizei rund um jeden Jahrestag bei Augenzeugen des Massakers ein, um zu verhindern, dass Gespräche mit westlichen Medien zustande kämen. „Diese Ereignisse“, sagt Ma Jian, „sind aus dem kollektiven Gedächtnis meines Landes gestrichen worden. Die Erinnerung wird ausgelöscht. Mein Buch soll beweisen, dass die chinesische Regierung lügt.“ Und Spengler berichtete von einer Begegnung mit einem chinesischen Studenten in Peking vor wenigen Wochen, der erzählte, er habe erst kürzlich von den Ereignissen von 1989 erfahren. Die Bereitschaft zum Verdrängen sei offenbar groß, so Spengler.

Was darf, was kann, was soll man erwarten von einem Auftritt wie dem der Chinesen? War der Druck von Beginn an zu groß? Ist vielleicht sogar etwas Wahres an den Klagen der chinesischen Delegation, der Westen berichte einseitig? Oder kann man gar nicht einseitig genug werden, wenn man hört, einem deutschen Journalistenkollegen wurde auf die Frage nach einem verhafteten chinesischen Schriftsteller beschieden, da möge er sich doch bitte vor Ort bei der zuständigen Polizei erkundigen?

Bei der chinesischen Nacht der Gegenwartsliteratur im Frankfurter Literaturhaus, das während der gesamten Messe vom Ehrengast bespielt wurde, gab es dichte atmosphärische Klänge und Lesungen auf Chinesisch, wie sonst? Ein sonderlich großes Interesse deutscher Besucher war nicht erkennbar. China, der Westen und die Buchmesse – möglicherweise war das von Beginn an ein Missverständnis. Dass China als Markt wichtig ist; dass der Westen auf den ökonomischen Riesen zugehen muss, versteht sich. Dass die Buchmesse und ihr Direktor Jürgen Boos immer wieder Zugeständnisse machen mussten, dass alle Beteiligten dabei wiederholt nicht gut aussahen, hat jedoch auch was Gutes. Reibung erzeugt Erkenntnisse, auch wenn diese nicht immer angenehm sind, und vielleicht bleibt dieser Auftritt tatsächlich länger in Erinnerung als jener etwa der Katalanen, der Türken oder der arabischen Länder. Vielleicht zeitigt er wirklich eines Tages Folgen, wie immer diese aussehen mögen.

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