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Kultur: Frankfurt II: Pack verträgt sich

Der Programmzettel hat das Format einer Speisekarte. "Wagner Ring Kühnel Tat" heißt das Tagesgericht, und wenn schon nicht die Musik zur Aufführung, so durfte Richard Wagner wenigstens einen längeren Text beisteuern, der eine verstümmelte Fassung von "Der Nibelungen-Mythus.

Der Programmzettel hat das Format einer Speisekarte. "Wagner Ring Kühnel Tat" heißt das Tagesgericht, und wenn schon nicht die Musik zur Aufführung, so durfte Richard Wagner wenigstens einen längeren Text beisteuern, der eine verstümmelte Fassung von "Der Nibelungen-Mythus. Als Entwurf zu einem Drama" aus dem Revolutionsjahr 1848 ist, also mitnichten die Inhaltsangabe zum Bühnenweihfestspiel für drei Tage und einen Vorabend "Ring des Nibelungen", welches an einem Abend zu zeigen sich das TAT, das Theater am Turm in Frankfurt am Main, aufgegeben hat.

In einem maroden Mietshaus klaut der zwergwüchsige Hausmeister Alberich drei nackten Mädchen einen Goldklumpen aus der Badewanne. Bauherr Wotan streitet sich mit einem ältlichen aufgedunsenen Handwerkerpärchen, Fasolt und Frau Fafnerin, um die Sanierungskosten und geht mit einer dicken alten entfernten Verwandten fremd, die ansonsten unter den Flurteppich gekehrt wird. Tochter Brünnhilde stolziert gern in Ritterrüstung durch das Treppenhaus, und Vater Wotan erschreckt die Mieter als Weihnachtsmann.

Dann gibt es in dem Haus noch verschiedenes herziges Getier, darunter einen alten Gaul, und immer gibt es neue Mieter, Kriminelle allesamt, die aber auch alle irgendwie miteinander verwandt und verschwägert scheinen, nutzen sie doch gemeinsam Schlaf, Wohn- und Badezimmer, Küche und Hobbykeller.

Pack schlägt sich und erschlägt sich, weil es offensichtlich so unter Verträgen steht, die es selbst nie geschlossen hat, ja, von denen es überhaupt gar nichts mehr wissen kann. Und um einen Ring geht es wohl auch noch, doch das vermag sich nur zusammenreimen, wer genau auf viele nebenher gesprochene Sätze hört, und vor allem: wer auch die vielen vielen Sätze kennt, welche hier nicht gesprochen werden.

Aus den Dramentexten hat sich Tom Kühnel ein leichtes Tagesmenü zusammengestellt und Rufus Didwiszus und Jan Pappelbaum haben Wagners Weltentwurf auf eine kleine bürgerliche Wohnwelt reduziert, den Weltenbau auf eine Simultanbühne mit Keller und zwei Stockwerken. Nur haben sie mit Wagners Musik zugleich auch das Drama aus dem Musikdrama entfernt.

Dem "Ring" die Musik aberkennen heißt, dem Komponisten die Haltung zum Text absprechen. Wie will man Wirklichkeit mittels eines Textes untersuchen, ohne die Wirklichkeit des Textes zu untersuchen? Die Wirklichkeit des Textes ist die Musik und die Wirklichkeit des Musikdramas das Theater. Kühnel hat übersehen, daß gesungener Text anderen Gesetzmäßigkeiten gehorchen muß als gesprochener und dass sich in gesprochenem Text bereits musikalische Zeit versteckt hält. Der Stabreim des Librettos klappert und klappert, weil die Schauspieler sich weder von den ihm eingeschriebenen Zeitmaßen lösen noch diese erfüllen können. Während sie sich unterfordert glauben und immer wieder in schale Travestie retten, sind sie in Wahrheit überfordert.

Sie hetzen durch Text- und Handlungsfragmente ohne jede Chance, jemals besseres als Chargen, wie aus Leo Slezaks Opernführer entsprungen, abzuliefern. Sie erzählen, was nur Schauspieler und nur sie erspielen könnten, und sie illustrieren ihre Monologe, anstatt zu spielen, was diese verschweigen.

Schmalkostversion

Warum zeigen sich Christian Tschirner und Jenny Schily an den zentralen Konflikten und Auseinandersetzungen zwischen Wotan und Brünhilde so desinteressiert? Warum räumt Suse Wächter nicht mit dem antisemitischen Rollenklischee des verschlagenen und darob zu erschlagenden Mime auf, anstatt ihm aufzusitzen wie ihre Puppe der Schulter Siegfrieds? Warum wirken die Götter, Riesen und Zwerge und Naturwesen, warum wirken diese Menschen mit und ohne Masken und all ihre niedlichen Puppen und Püppchen so weitestgehend harmlos?

Da, wo sich bei Richard Wagners Tetralogie Handlungsstränge und Motivgewebe unentrinnbar verdichten und zum klanggewaltigen Orchesterpanzer zusammenschießen, nämlich spätestens ab dem dritten Aufzug von "Siegfried", da muss Kühnels der Musik entkleidete Schmalkostversion mit der Zeit immer dünner, flüchtiger, dürftiger, gleichgültiger werden. Längst schon häufen sich die Lacher des Publikums an Stellen, die wahrlich nicht zum Lachen sind.

Oder etwa doch? Die harten, gnadenlosen, brutalen und bösen Situationen (allein schon) des Wagnerschen Textes sind zur Zeit an der Württembergischen Staatsoper Stuttgart, im Ring der vier Regisseure Joachim Schlömer, Christof Nel, Jossi Wieler und Peter Konwitschny, weitaus kompromissloser erkannt und zur Darstellung gebracht als im Bockenheimer Depot. Origineller, fantasievoller und witziger übrigens auch.

Bei ihrem Amtsantritt drohten die Regisseure des TAT, Schuster und Kühnel, einst in einer Frankfurter Lokalzeitschrift: "Das Theater wird im lange vergessenen Ausmaß affirmativ zur Gesellschaft." Furchtbarerweise haben Kühnel und Schuster ihre Drohung offenbar wahr gemacht.

Jens Knorr

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