zum Hauptinhalt

Kultur: Frankfurter Buchmesse: Die Leichtigkeit des Lesens

Seit einigen Jahren geht es auf dem deutschen Comic-Markt ebenso turbulent zu wie sonst nur in der Wunderwelt seiner Protagonisten: Die Branche taumelte zwischen Rausch und Kollaps und wieder zurück. Der Trubel begann Mitte der 90er.

Seit einigen Jahren geht es auf dem deutschen Comic-Markt ebenso turbulent zu wie sonst nur in der Wunderwelt seiner Protagonisten: Die Branche taumelte zwischen Rausch und Kollaps und wieder zurück. Der Trubel begann Mitte der 90er. Die großen Comic-Verlage des Landes verloren ihre Leser. Vor allem in dem Bereich, auf den beide Verlage besonders stolz waren - dem Albenmarkt. Jahrelang hatten die Verantwortlichen dem Feuilleton und den Lesern eingehämmert, das Comic nicht stumpfsinniger Fastfood für Kindsköpfe bedeuten musste. Und das erfolgreich: In der zweiten Hälfte der Achtziger schien der Comic endgültig erwachsen geworden zu sein.

Doch die Revolution hatte ihre Kinder vergessen: Die Leserschaft vergreiste im gleichen Maße wie sie vergeistigte; teure, kunstvolle Alben waren nicht taschengeldkompatibel und in die Fachgeschäfte verirrten sich nur selten Minderjährige. Im Bemühen um Respekt blieb auf der Strecke, was den Comic gerade für junge Leser so attraktiv macht - das Anarchische, Verspielte, Überdrehte, kurz, die wunderbare Leichtigkeit des Lesens. Die schöne Comickunstwelt wurde Mitte der 90-er zum Getto. In den großen Verlagshäusern herrschte Krisenstimmung, der Carlsen-Verlag reduzierte nicht nur das Angebot, er trennte sich auch nach über einem Jahrzehnt vom bisherigen Cheflektor Knigge. Eine Ära war zu Ende.

Dann kam Batman und eroberte die Kinderzimmer zurück. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre reanimierte der Dino-Verlag einen totgeglaubten Markt - Comics wurden wieder im Heftchen-Format für wenig Geld an den Kiosken verkauft. Mit klugem Marketing nach amerikanischem Vorbild etablierte der Verlag Serien wie "Batman Adventurer" und "The Simpsons" in enger Anbindung an die jeweiligen TV-Serien. "Heute verkaufen sich die Themen am Besten, die auf verschiedenen medialen Ebenen präsent sind", sagt Steffen Volkmer, Pressesprecher des Dino-Verlages: "Ein Comic muss Teil eines Events sein".

Dino investierte Hunderttausende in die Werbung, vertrieb die Hefte über die Kioske und eroberte so die Zielgruppe der 12-18-Jährigen zurück. Vor allem "Die Simpsons", eine Serie um eine herrlich anarchische Familie, beweist mit 6-stelligen Verkaufszahlen, dass Kommerz und Qualität keine Erbfeinde sind. Der Erfolg der Dino-Hefte löste eine Art Goldrausch auf dem Comic-Markt aus. Während die Großverlage orientierungslos nach ihrer Identität suchten, Carlsen sogar über das Ende der Comic-Produktion nachdachte, warfen neue Verlage Unmengen von amerikanischen Superhelden-Serien auf den Markt. Düstere Charaktere von zweifelhafter Moral metzelten wüst drauflos, junge Frauen mit viel Oberweite und wenig Kleidung vermöbelten Monster - Lara Croft als Rollenmodel. Monatlich erschienen mehr als drei Dutzend Hefte, es drohte der Kollaps. Viele Serien wurden in diesem Jahr wieder eingestellt, der Markt schrumpft sich gesund.

Auch die klassischen Albenverlage Carlsen und Ehapa aber haben einen Weg aus der Krise gefunden. Hier kam die Rettung aus Fernost. "Die Lesebedürfnisse des Comic-Publikums haben sich stark verändert", sagt Michael Walz, Chefredakteur von Ehapa. "Schnell kommunizierbare, leicht verfügbare Stoffe liegen im Trend. Vor allem das Segment Manga wächst deutlich.

Ehapa hat am 1. 10. gar einen eigenen Verlag gegründet, der sich speziell diesem Marksegment widmet - 130 Prozent Zuwachs waren hier im vergangenen Jahr zu verzeichnen. Mangas, rasant gestaltete Comics aus Japan bestreiten auch bei Carlsen rund die Hälfte des Verlagsprogrammes. Da Manga-Serien wie für taschengeldkompatible 9,90 angeboten werden, locken sie eine junge Kundschaft in Fachgeschäfte.

Auch die haben sich ihren Platz auf dem deutschen Markt zurück erobert. So veröffentlicht der Carlsen-Verlag das reichhaltige Werk des Zeichners Trondheim, wunderbar verdrehte und absurd lustige Funnys in bester franco-belgischer Tradition. Oder die grafisch herausragenden Arbeiten von Isabell Kreitz. Ansonsten kümmern sich heute Kleinverlage um die Nischenprogramme. Feinsinniger Autoren-Comics aus Frankreich, innovative Underground-Strips aus den USA, sogar extreme Sex&Crime Werke für Erwachsene finden Platz neben den Superhelden.

"Der Comic-Markt in Deutschland war noch nie so vielfältig wie zur Zeit", glaubt auch Michael Walz. Das zeigt die Frankfurter Buchmesse. Zum ersten Mal widmet sich die literarische Fachmesse dem bislang ungeliebten Stiefbruder Comic. Langfristig, glauben Fachleute, werden Comic-Figuren, die nur auf dem Papier existieren, Probleme haben. Neben der Verwertung von TV-Charakteren liegt die Zukunft im Internet. Auch diese Entwicklung ist auf der Buchmesse zu beobachten: In Frankfurt wird der Gewinner des Online-Comicwettbewerbs ICX gekürt und Carlsen stellt das Online-Projekt des Zeichners Jürgen Seebeck vor.

Jörg Böckem

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false