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Kultur: Frankfurter Buchmesse: Sterbliche Hand

Es passiert nicht alle Tage, dass Kultur und Politik so eng zusammenrücken wie eben nur auf der Buchmesse. Fast Jahr für Jahr kann man in Frankfurt den Eindruck gewinnen, sie könnten einander wirklich brauchen, wenn es darum geht, das Verhältnis der Gastländer zur Bundesrepublik angemessen darzustellen.

Von Gregor Dotzauer

Es passiert nicht alle Tage, dass Kultur und Politik so eng zusammenrücken wie eben nur auf der Buchmesse. Fast Jahr für Jahr kann man in Frankfurt den Eindruck gewinnen, sie könnten einander wirklich brauchen, wenn es darum geht, das Verhältnis der Gastländer zur Bundesrepublik angemessen darzustellen. Im Fall von Polen, Deutschlands Nachbarn, hat die Verbindung sogar eine größere, glücklichere und zeitweise fatalere Tradition als bei anderen Ländern - zumindest in Osteuropa.

Die Symbolkraft der diplomatischen Gesten, die der deutsche Außenminister Joschka Fischer und sein polnischer Amtskollege Wladyslaw Bartoszewski bei der Eröffnung rhetorisch austauschten, verband sich denn auch aufs Schönste mit dem Schwur auf die Kraft der Bücher und der Wörter, den die beiden polnischen Literaturnobelpreisträger und Poeten Czeslaw Milosz und Wyslawa Szymborska taten. Joschka Fischer erinnerte an Hitlers Überfall auf Polen und das nach dem Holocaust schlimmste Verbrechen der Nazis: den versuchten Genozid am polnischen Volk. Er wies aber auch auf die Versöhnungsbemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg hin, die politisch in Willy Brandts Kniefall im Warschauer Ghetto 1970 gipfelten - dem bewegenden Akt eines großen Staatsmannes. Nach der deutschen Wiedervereinigung und Polens Aufbruch in die Freiheit, so versprach Fischer, werde Polen nun so bald wie möglich in die Europäische Union aufgenommen.

Wladyslaw Bartoszewski dankte auch den stillen Vermittlern der Annäherung, besonders den literarischen Übersetzern Henryk Bereska und Karl Dedecius, die als "Einpersonen-Organisationen" eine "titanische Leistung" vollbracht hätten. Bartoszewskis Rede, ein Lob auf die menschen- und völkerverbindende Macht der Literatur, las sich auf dem Papier nicht einmal besonders aufregend. Aber er trug sie mit einer Energie und konsonantenstarrenden Schroffheit vor, als hätte er lauter Zuhörer vor sich, die er noch zum wahren Glauben bekehren müsste. Er war der eindringlichste Redner von allen.

Czeslaw Milosz, fast 80-jährig, zeigte sich dagegen altersmilde und schon auf sein eigenes Verschwinden eingestellt: "Ich stelle mir die Erde vor, wenn es mich nicht mehr geben wird / Na und? Überhaupt kein Verlust, die Wunderdinge bleiben, / Die Kleider der Frauen, der feuchte Jasmin, das Lied im Tal." Und die Bücher - "trotz der Feuerscheine am Horizont,/ Der in die Luft geprengten Schlösser". So sprach er, und Wyslawa Szymborska sekundierte ihm mit ihrem Gioconda-Lächeln: "Die Freude am Schreiben" bestehe "in der Möglichkeit des Erhaltens", es sei die "Rache der sterblichen Hand". Wenige Minuten später erklärte Roland Ulmer, Vorsteher des Börsenvereins, die Messe für eröffnet - mangels des üblichen Elfenbeinhammers mit der bloßen Faust. Auch so bekommen Wörter ihr Gewicht, auf dieser Messe, die der Masse Buch gehört.

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