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Willkommen in der Wolke. So geheimnisvoll wie der neuseeländische Pavillon ist auch die Zukunft der Buchbranche im Internetzeitalter.

© dpa

Frankfurter Buchmesse: Tanz ums Kalb

Was früher „Inhalt“ war, heißt heute „Content“. Es ist auch das Zauberwort der Frankfurter Buchmesse. Online-Anbieter prägen den Begriff – um die Verlage davon zu überzeugen, dass sie ihre Produkte internetgerecht präsentieren müssen. Die Strategie: Mit dem neuen Vokabular stellt sich der Erfolg wie von selbst ein.

Ist die Zukunft schon wieder vorbei? Die Frage stellt sich unweigerlich, wenn man auf dem Innenhof des Messegeländes umherspaziert. Letztes Jahr stand hier noch der ganz in weiß gehaltene, höchst futuristisch anmutende Audi-Pavillon, in dem Autos und alte Bücher präsentiert wurden, aber auch die sogenannten Content-Anbieter ihre Stände hatten. Und dieses Jahr? Ist alles sehr lieblich, mit Wasserspielen und kleinen Stegen, mit noch mehr Imbissbuden und Sitzbänken als in den Jahren zuvor, sowie einem Lesezelt, das von außen aussieht wie eine eiligst zusammengehauene Hütte im Wald.

Und wer ist eigentlich dieser Typ im weißen Anzug und mit den dünnen, schlohweißen, aber schön halblang wehenden Haaren, der sich gerade am Suppenstand ein Erbsensüppchen für 4,50 Euro besorgt? Na, klar, Rolf Eden – und er ist es wirklich, nicht irgendein Gespenst, selbst wenn dieser Erscheinung etwas Gespensterhaftes und Vergangenheitsseliges anhaftet. Gott sei Dank sitzt gleich einen Imbisstand weiter ein Herr mit einem roten Irokesenschnitt: Sascha Lobo, intensiv in ein Gespräch verstrickt. Vermutlich bereitet er sich auf seinen Auftritt in einer Diskussionsrunde über das Urheberrecht vor. Ist Sascha Lobo noch die Zukunft? Er kommt schließlich aus einer Zeit, in der das Internet noch aufregend war, dort alles möglich schien. Sascha Lobo bemühte sich ja immer sehr, das Aufregende am Internet analog zu vermitteln. Um nicht zu sagen: Seine Sehnsucht, im Feuilleton zu landen, mit seinen gedruckten Büchern Erfolg zu haben, war und ist vermutlich immer noch groß.

Der Mann mit dem Iro an der analog-digitalen Schnittstelle ist die Idealfigur für das sogenannte Innovationsfenster der Frankfurter Buchmesse, die „Frankfurt Hot Spots“. Diese kombinieren, so heißt es im Programmheft der Messe, „Ausstellungsfläche mit Präsentationsbühnen und stellen digitale Lösungen und Produkte ins Rampenlicht“, alles unter dem Titel „Where Content meets Technology“. Das klingt natürlich gut, auf Englisch sowieso besser als auf Deutsch, so wie alles an diesen über die Messe verteilten Hot-SpotBühnen und -Ständen. Hier schwirren Vokabeln wie „innovative Lösungen“, „moderne Medienproduktion“, „Schule der Zukunft“ durch die Luft, vor allem aber das Zauberwort „content“, in allen möglichen Kompositionen: „Connecting Content“, „Content Alive“, „Intelligentes Content-Marketing“. Der Content ist der Fetisch dieser Messe, und selbstverständlich sind die Firmen, die den „Content“ digital zu organisieren und zu vermarkten helfen, „Content“-Produzenten.

Die Moresophy GmbH zum Beispiel, die, wie es auf ihrer Website heißt, „Software für die semantische Analyse und Strukturierung großer Mengen an Informationen und deren Nutzung in kundenorientierten Web-Anwendungen“ anbietet. Einer der Geschäftsführer ist Heiko Beier, Professor für Medienkommunikation, von Haus aus Physiker und Philosoph, wie er bei seiner Präsentation über „Neue Erlöse mit intelligentem Content-Marketing“ sagt. Immer wieder bestärkt Beier die anwesenden Vertreter verschiedenster Verlage darin, wie fantastisch deren Inhalte doch seien, wie ungemein stark. Und wie wichtig es deshalb sei, diese auch in den Suchmaschinen, allen voran Google, präsentieren zu können. Dann erklärt er, dass Google seine Treffer nicht mehr nach Links sondern semantisch ordne und es inzwischen darauf ankomme, die eigenen Inhalte „semantisch zu optimieren“, sie beispielsweise zu „atomisieren“ und nicht einfach nur Titel und Klappentext bereitzustellen.

Kurzum, im Moresophy-Deutsch: „Erfolgreich im digitalen Geschäft ist, wer sich mit der Darstellung seiner Inhalte und Produkte dynamisch den Bedürfnissen seiner Kunden anpasst.“ Hört man Beier zu, hat alles Hand und Fuß, um nicht zu sagen: Es klingt ganz einfach. Es wird nur im schönsten angloamerikanisierten Neusprech schwergemacht oder mit unwahrscheinlich viel Bedeutung aufgeladen. Aber so ist das in einer Zeit, da sich mit der Digitalisierung die Geschäftsmodelle der Buchbranche verändern, da Autoren ihre Bücher selbst verlegen, es Schwarmfinanzierung gibt oder wissenschaftliche Verlage und Bibliotheken Flatrates für die zeitweilige Nutzung ihrer Inhalte anbieten: Stimmt die Theorie, hat man erstmal das richtige Vokabular, müsste sich die Praxis und vor allem der Erfolg von selbst einstellen.

Bei den etablierten Verlagen, deren Bücher und Autoren ja trotz des ganzen digitalen Zukunftsgedröhnes noch immer das Zentrum, also den bestimmenden „Content“ dieser Messe darstellen, scheint man sich da nicht so sicher zu sein. Fast eine Offenbarung war es da, so ironisch-sympathisch sie auch präsentiert wurde, als Philipp Keel beim Empfang seines Diogenes-Verlags im Frankfurter Hof davon sprach, dass eigentlich niemand Genaueres über die Zukunft wisse: er nicht, die Verlagsbranche nicht, die Finanzmärkte nicht, die Europäer nicht, höchstens vielleicht die Chinesen. Mit Autorinnen wie der laut Keel „wunderbaren“ Donna Leon und der „unglaublichen“ Ingrid Noll, wie Martin Suter oder Rolf Dobelli muss man vielleicht wirklich nicht so viel wissen – die verkaufen sich so gut, dass zumindest Diogenes um die nahe Zukunft nicht bange sein muss.

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