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Kultur: Frankfurter Kranz Die Meteorit und die Messe

Dafür, dass es die letzte Messe gewesen sein wird, geht es erstaunlich geordnet zu. Am Eingang zu Halle 8, in der die USA ihren literarischen Weltmachtsanspruch verteidigen, werden die Taschen kontrolliert, als wäre es nicht egal, ob Frankfurt jetzt in die Luft fliegt, oder in ein paar Monaten, wenn der Meteorit auch den Rest der Welt mit sich fortreißt.

Dafür, dass es die letzte Messe gewesen sein wird, geht es erstaunlich geordnet zu. Am Eingang zu Halle 8, in der die USA ihren literarischen Weltmachtsanspruch verteidigen, werden die Taschen kontrolliert, als wäre es nicht egal, ob Frankfurt jetzt in die Luft fliegt, oder in ein paar Monaten, wenn der Meteorit auch den Rest der Welt mit sich fortreißt. Michael Krüger, der auf Einladung von „Kursbuch“ und „Freitag“ die Zukunft der Branche beschwören soll, spricht am Ende seiner kulturellen Untergangsrede immerhin davon, dass dies für ihn als Verleger des Hanser Verlags erst die vorletzte Messe sei. Anscheinend hofft er, dass wenigstens die Dinosaurier überleben. Und die Brasilianer tun so, als dürften sie hier nächstes Jahr tatsächlich Gastland spielen: Vor den Neuseeländern wollen sie sich gerade in der Stunde der Apokalypse keine Blöße geben. Kurz: Es wird alles getan, um die Wahrheit zu verheimlichen.

Die Esoterikverlage, an deren Ständen all die billig gedruckten Bücher über die Maya-Prophezeiung vom Weltuntergang am 21.12.2012 in den Regalen liegen, wirken neben den halogengefluteten Ständen mit den zukunftsträchtigen E-Book-Angeboten wie in die Ecke gedrängt. Doch der Schein trügt. Der „Frankfurter Rundschau“, die es dann ja auch nicht mehr gibt, liegen dicke Anzeigenblätter bei, in denen Waschmaschinen mit Endzeitwahl zu Sonderpreisen angeboten werden. Endzeitwahl: Das Wort muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Zwar weiß kein Mensch, wie es passieren wird: ob der Meteorit einschlägt oder etwas noch Verheerenderes geschieht. Aber dass es ein Entkommen geben könnte, ist der blanke Hohn – und das Endzeitprogramm Ausdruck eines Kapitalismus, der noch auf den letzten finsteren Metern Waschmaschinen in den Markt drücken will.

Wo soll die Empörung auch herkommen? Sogar die Occupy-Anhänger brechen schon ihre Zelte ab. Auf dem Willy-Brandt-Platz, gleich neben dem Frankfurter Hof, wo 24 Stunden lang das Cocktailherz der Messe schlägt, singen letzte versprengte Revoluzzer Lieder gegen die Europäische Zentralbank. Über dem Eisernen Steg, der hibbdebach und dribbdebach die nördliche mit der südlichen Mainseite verbindet, prangt ein Motto aus Homers „Odyssee“. Was ein dereinst stolzes griechisches Gastland 2001 hinterließ, klingt nun wie eine frühe Ankündigung unserer gemeinsamen Reise über den Styx: „Segelnd auf weindunklem Meer hin zu Menschen anderer Sprache“.

Zuversichtlich ist nur eine Handvoll von Endzeitgewinnlern. Scientology lässt eine Zeitung namens „The Golden Gazette“ mit pulp fiction ihres Gründers L. Ron Hubbard verteilen, und ein verhutzelter alter Mann drückt jedem, der auch nur einen Hauch von Melancholie verströmt, Flugblätter mit den Worten „Jesus wird auch dich retten“ in die Hand. Ite, missa est: Das ist die Messe gewesen. Bald werden wir uns nicht einmal mehr an sie erinnern. Gregor Dotzauer

Unsere Kolumne befasst sich täglich mit Merkwürdigkeiten der Messe.

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