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Im Bergwerk der Sprache. Marcel Beyer bei der Verleihung des Bremer Literaturpreises 2015.

© dpa/Carmen Jaspersen

Frankfurter Lyriktage: So wird es mit der Welt zu Ende gehen

Der Dresdner Dichter Marcel Beyer und das Ensemble Modern eröffnen mit einem Lesungskonzert die Frankfurter Lyriktage.

Rhythmus, Melodie und Klang sind gleichermaßen Kategorien der Musik wie der Sprache – insbesondere der lyrischen. Dichtung. Doch so bekannt dies ist, so neu und überraschend ist die Umsetzung dieser Erkenntnis durch Marcel Beyer und Ensemble Modern. Mit einem gemeinsamen Lesungskonzert eröffneten sie am Mittwoch im Frankfurter Dominikanerkloster die Lyriktage.

In warmer, sonorer Stimme liest Beyer zu Beginn das bedrückend fatalistische Gedicht „The Hollow Men“ (1925) von T.S. Eliot. Die Verse werden begleitet von Beethovens Variationen der britischen Hymne „God save the King“. In der letzten Strophe des Gedichts steht der Vers „This is the way the world ends“. Dreimal wird er wiederholt, das Ensemble setzt zum Finale an, nimmt Fahrt auf, die Klänge an Lautstärke und Kraft zu: Genau so muss das Weltende wohl klingen – der Zuhörer ist gebannt.

Neben T.S. Eliot und anderen hat Beyer zwei für ihn und sein Schaffen äußerst wichtige Gedichte ausgewählt: Ezra Pounds  „Alba“ (1912) und Georg Trakls „An die Verstummten“ (1913), die er mit seinen Variationen „Alba“ und „An die Verstummten“ in die Gegenwart übersetzt hat. Beyers eigene Gedichte an diesem Abend stammen fast alle aus seinem 2014 erschienenen Band „Graphit“ – das Ergebnis aus zwölf Jahren lyrischer Arbeit. Dazu erklingen Stücke des Russen Nikolai Andrejewitsch, von Bernd Alois Zimmermann und Anton Webern. Beyer hat dieses Lesungskonzert gemeinsam mit dem Pianisten und Komponisten Hermann Kretzschmar, Mitglied des Ensemble Modern, konzipiert. Das Ensemble Modern ist eines der weltweit führenden Ensembles für Neue Musik. Es vereint Musiker aus aller Welt, die an diesem Abend der ohnehin komplex verzahnten Transdisziplinarität von Musik und Sprache durch ihre Mehrsprachigkeit (Englisch und Hebräisch) eine weitere Dimension hinzufügen.

Das Programm ist ambitioniert, virtuos vorgetragen und findet begeisterten Applaus. Doch es ist zugleich eine Herausforderung für den Zuhörer. Beyers Gedichte sind in ihrer stofflichen und sinnlichen Fülle so dicht, die Wortkompositionen in Klang und Rhythmus eminent musikalisch, in ihrer semantischen Kombination jedoch oft irritierend und verstörend. Sie fordern das Innehalten und mehrfache Lesen, um dann, mit jeder Wiederholung, unentdeckte Schichten freizulegen. Das einmalige Hören aber funktioniert intuitiver und unmittelbarer. Die Musik untermalt, durchleuchtet und interpretiert die Wörter. Sie trägt weiter, wo die Sprache an ihre Grenzen gerät, lässt schließlich den Zuhörer die Seelenverfasstheit des lyrisch Sprechenden nachempfinden. Dieses komplexe Zusammenspiel aber mit dem Verstand zu durchdringen, ihm in seiner vielschichtigen Bedingtheit analytisch nahe zu kommen, ist an einem Abend fast unmöglich. 

Frankfurter Lyriktage vom 10. bis 20. Juni 2015 an verschiedenen Veranstaltungsorten im Rhein-Main-Gebiet. Infos: www.frankfurter-lyriktage.de

Sabrina Wagner

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