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Kultur: Franz West in Karlsruhe: Plastische Neurosen

Eigentlich stört einzig das Ding in der Mitte, eine erigierte Wurst aus grell farbigem Alu - groß und sperrig: Das muss die Kunst sein. Nur, wenn dort die Kunst ist, wo sind wir?

Eigentlich stört einzig das Ding in der Mitte, eine erigierte Wurst aus grell farbigem Alu - groß und sperrig: Das muss die Kunst sein. Nur, wenn dort die Kunst ist, wo sind wir? Denn irgendwie gehören die zwei Diwane, die zu Flößen umfunktioniert wurden, gehören das Bassin und die drei umlaufenden Stufen, die zur Wasserfläche führen, auch dazu. Alles zusammen nennt sich "2 Flöße" und formuliert als zentrale Installation der Karlsruher Franz West-Retrospektive zugleich die ästhetische Spannung, die dessen Werk seit 30 Jahren prägt.

Schon die frühen "Passstücke" der siebziger Jahre - krude gearbeitete Körperausformungen, die vom Nutzer in verschiedenen Varianten wortwörtlich getragen werden konnten - transportierten diese kreative Ambivalenz zwischen nicht wirklich nützlichem Nutzobjekt und autonomer Skulptur. Zwei diametral entgegenstehende Rezeptionsformen, die sich zumindest in den frühen Arbeiten noch notwendigerweise ausschlossen: Das Gegenüber der Kunst war entweder Nutzer, der zugleich betrachtet wurde, oder Betrachter, dem die Nutzung versagt blieb. Ließen diese frühen, unförmigen Plastiken aus Pappmaché und Eisen den Betrachter noch seltsam unentschieden zwischen dem Angebot, sich mit der Kunst zu "möblieren" und der passiven ästhetischen Rezeption, so versuchten sich die folgenden Arbeiten exakt in dieser Spannung zu situieren.

Wir erinnern uns: Schon 1992 auf der Jan Hoet-Dokumenta war das Angebot der 72 grob verschweißten und mit Teppichen bedeckten Sofas verlockend: Endlich konnte man dem weitläufigen Kunst-Parcours entkommen und musste trotzdem nicht auf die unmittelbare Kunst-Tuchfühlung verzichten. Die raumgreifende Skulptur war ohne Zweifel Kunst, definierte diesen Anspruch aber in völlig neuartiger Weise: Der in den letzten Jahren in Mode gekommene Begriff der "Kunst als Dienstleistung" hat auch im vielschichtigen µuvre von Franz West seinen Ursprung. Eine Einsicht, die sich dem Besucher des Karlsruher Museums für neue Kunst allerdings nur bedingt erschließt, sind doch die meisten Exponate gar nicht zu benutzen. Dem Betrachter wird durch die museale Präsentation ein zentraler Aspekt der Kunst Franz Wests vorenthalten.

Zwischen Funktion und Kommunikationsangebot, zwischen profaner Nutzung und der Öffnung für Außerkünstlerisches beharrt West mit seiner skulpturalen Produktion doch immer auf einer ästhetischen Oberfläche, die die Kunst vor dem Entgleiten bewahren soll: Gerade die weißen Gipsplastiken oder die in den neunziger Jahren entstehenden knalligbunten Aluoberflächen verweigern durch ihr raues Finish einerseits die gängige Nutzbarkeit, andererseits wurde dieser Anti-Stil zum künstlerischen Markenzeichen. Wests Kunst definiert sich über einen eminenten Hang zum eigenen wie zum fremden Körper; ein ferner Widerhall Otto Mühls oder Hermann Nitschs, der bei West in eine distanzierte, vermittelte Befragung von Körper und Körperlichkeit mündet. Schon die frühen Collagen umkreisen den Körper im Kontext von Erotik, Pornographie und Warenfetischismus in ironisch-kritischen Windungen. Sie entwickeln auch hier schon eine spezifische, unverkennbare Oberflächenästhetik. Jene Behauptung, die West bezüglich seiner "Passstücke" aufstellte - "Wenn man Neurosen sehen könnte, sähen sie so aus" - gilt für seine frühen malerischen Arbeiten ebenso wie für das folgende gattungs- und diskurssprengende µuvre.

Die Installation "2625", in der ein leerer white cube im freien Raum zwischen zwei Stühlen schwebt, verdeutlicht diese sich alles einverleibende Arbeitsweise: Immer wieder werden mentale Räume entworfen, die mit Abgründigem und Ironischem, mit Diskurs und Dienstleistung gleichermaßen bestückt werden können. Wests plastische und malerische Setzungen sind zuerst ästhetische "Zwischenräume", in denen der Betrachter zum entspannten Nutzer sich wandelt, dem die sich gelegentlich in den Weg stellende Kunst zum Inventar des Alltags wird.

Martin Engler

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