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Kultur: Frauen und andere Saurier

Von Denis Scheck, Literaturkritiker

Denis Scheck kommentiert einmal monatlich abwechselnd die Belletristik und Sachbuchlisten der „Spiegel“-Bestseller – parallel zu seinem sonntäglichen Fernsehmagazin „Druckfrisch“ in der ARD – heute um 23.30 Uhr. Der heutigen Kolumne liegt die aktuelle Belletristik-Liste vom November zu Grunde – wie immer in absteigender Reihenfolge.

10) Paulo Coelho: Der Alchimist (Diogenes, 176 Seiten, 17,90 €)

Seit Jahren schon spukt dieser aus dem proto-literarischen Urschleim gekrochene Einzeller der Erbauungsliteratur durch die Bestsellerlisten. Coelho ist so etwas wie der Graf Dracula des Schunds: ohne einen Funken eigenes Leben, mästet sich dieser literarische Wiedergänger an fremdem Gedankengut, ein Vampir des Esoterikbooms. Wo findet sich der Professor van Helsing, der diesem Grauen ein Ende setzt?

9) Elizabeth George: Wer die Wahrheit sucht (Blanvalet, 736 S., 24,90 €.)

Die Romane der Amerikanerin George spielen allesamt in England, und man darf sie durchaus altmodisch nennen – nur geht von diesen Krimis eine ganz eigene Faszination aus. Elizabeth Georges Bücher beziehen ihre Spannung aus dem Dreieck Mama-Papa-Kind, was reizvoll kontrastiert mit dem in Breitleinwandformat vorgeführten Setting – in diesem Fall der Kanalinsel Guernsey. Entstanden ist so ein Krimi mit viel Lokalkolorit, der sich auf intelligente Weise am Selbstgespräch unserer Gesellschaft über Gut und Böse, Schuld und Sühne, also über die innere Verfasstheit unseres Gemeinwesens beteiligt.

8) Umberto Eco: Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana (Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, Hanser, 512 Seiten, 2, 90 €)

Der Meister des historischen Romans versucht sich zur Abwechslung an Pulp fiction: Ein Mann hat sein Gedächtnis verloren und will es wiedergewinnen mit Hilfe der Comics und Abenteuergeschichten, die er als Junge gelesen hat. Ecos Roman ist die Kollektivautobiographie seiner Generation, also der heute etwa 70Jährigen – allein schon aufgrund der ungewöhnlich gelungenen Collagetechnik von Bild und Erzählung ein literarisches Ereignis, die Coda der letzten 50 Seiten ein Triumph!

7) Walter Moers: Die Stadt der träumenden Bücher (Piper, 464 Seiten, 24,90 €)

Walter Moers ist nicht nur ein begnadeter Comic-Künstler, sondern auch ein geistreicher Romancier. Wie Bücher in die Welt kommen, die Literatur und ihre Vermittler sind das große Thema dieser neuen Geschichte aus der Fantasiewelt Zamonien, erzählt von einem Dinosaurier namens Hildegunst von Mythenmetz. Ein wenig pennälerhaft wie dieser Name sind auch einige der Gags, doch wenn ein Schriftsteller es schafft, dass sich seine Leser nach wenigen Seiten restlos mit einem larmoyanten Lindwurm identifizieren, dann handelt es sich zweifellos um einen großen Schriftsteller.

6) Sven Regener: Neue Vahr Süd (Eichborn, 550 Seiten, 24,90 €)

Entscheidungsschwach, begriffsstutzig und vor allem nervenaufreibend langsam: So ist Frank Lehmann, der Alptraum einer von McKinsey & Co. auf Effizienz getrimmten Gesellschaft. Frank Lehmann ist der Antiheld von Regeners sehr unterhaltsamem Roman, der ein brillantes Gesellschaftsbild der frühen 80er Jahre zeichnet. Keine Generation ist so anfällig für das süße Gift der Nostalgie wie die wohlstandsverwahrlosten Westdeutschen der 50er und 60er Jahrgänge. In Sven Regener haben sie ihren Chronisten gefunden.

5) Rafik Schami: Die dunkle Seite der Liebe (Hanser, 896 Seiten, 24 Euro 90)

Auf 896 Seiten führt dieser große und reiche Roman des in Syrien geborenen und Deutsch schreibenden Rafik Schami durch den Himmel und die Hölle der verbotenen Liebe in islamischen Gesellschaften. Es ist ein Liebesroman, ein Gefängnisroman, ein Roman über Sippen und Feindschaft und vor allem ein Roman über Damaskus, jene Stadt, die Rafik Schami „ein Märchen“ nennt, „das sich in Häuser und Gassen, Geschichten, Gerüche und Gerüchte kleidet.“

4) Francois Lelord: Hectors Reise (Piper, 187 Seiten, 16,90 €)

Es gibt ja bedauernswerte Menschen, die so richtige Freude am Sex nur empfinden, wenn man sie in Windeln packt und ihnen einen Schnuller in den Mund steckt. So ähnlich verfährt der Autor dieses Buch mit seinen Lesern: Lustvoll regrediert er in einen Dutsie-dutsie-Tonfall, stopft ihnen einen faden Brei von Binsenweisheiten zum Thema Glück ins Maul und erwartet am Ende ein zufriedenes Bäuerchen. Ich aber sehe nur einen großen dampfenden Haufen, den Monsieur Lelord in die Welt gesetzt hat.

3) Ildikó von Kürthi: Blaue Wunder (Wunderlich, 256 Seiten, 17,90 €)

Dies ist ein Buch für Menschen wie die Hauptfigur Elli, Menschen, denen es bei McDonalds richtig gut schmeckt, die klassische Musik langweilig finden, deren Aufmerksamkeitsspanne für einen „Zeit“-Artikel nicht ausreicht und denen „Star Wars“ intellektuell zu anspruchsvoll ist. Solche Menschen nennt Ildikó von Kürthi Frauen. Wir aber, wir Leser nennen solche Menschen dämlich, und Autoren, die solch überlebte Rollenbilder transportieren, die nennen wir reaktionäre Sautreiber des gesellschaftlichen Rollbacks – aber bloß, wenn wir gute Laune haben.

2) Frank Schätzing: Der Schwarm (Kiepenheuer & Witsch, 1008 Seiten, 24,90 €)

Klug, anregend und überaus packend: lange gab es keinen Unterhaltungsroman wie diesen aus Deutschland. Eine immense Recherchearbeit steckt in Schätzings Roman über das Meer als Sinnbild der Freiheit und Projektionsfläche unserer schlimmsten Ängste. Und nicht das geringste Verdienst dieses mit allen Wassern gewaschenen Autors besteht darin, dass man diese Fleißarbeit dem deutschen Bestseller des Jahres auf keiner Seite anmerkt.

1) Dan Brown: Sakrileg (Lübbe, 605 Seiten, 19,90 €)

Verschwörungstheorien bilden den heißen, strahlenden Kern der amerikanischen Weltanschauung, und so gesehen ist Dan Brown der amerikanischste Schundautor, den man sich vorstellen kann. Brown hat seinen Thriller über die Kinder von Jesus Christus, den Templerorden und Killerkommandos des Vatikans frei nach Henry Kissingers Maxime geschrieben: „Nur weil ich paranoid bin, heißt das nicht, dass nicht alle hinter meinem Kopf her sind.“ Natürlich ist dies reine Kolportage – aber eben auch das Spannendste, was derzeit zwischen zwei Buchdeckeln zu haben ist.

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