zum Hauptinhalt

Kultur: Frauen vor die Kamera

Istanbul boomt: Die sechste Kunstmesse gibt sich ambitionierter denn je.

Wo man auch hinhörte bei der 6. Contemporary Istanbul, alle – Galeristen, Künstler, Besucher – lobten die Messe im Vergleich zu den Vorjahren. Besserwerden musste sie auch, denn die Veranstalter hatten angekündigt, bald unter die Top Ten der Messen für zeitgenössische Kunst zu kommen, nach Basel, Paris oder London – freilich ohne konkreten Zeitplan. Doch: Auch wenn die Richtung stimmt, es bleibt reichlich Luft bis zur hochgelegten Messlatte. Zu unterschiedlich war das Niveau, zu konservativ die Werkausauswahl: überwiegend Malerei und Fotografie, kaum Installation und Video.

Da gab es ein paar verloren wirkende Klassiker wie Robert Mapplethorpe (Nev/Istanbul), Jan Fabre (Mario Mauroner/Salzburg/Wien) oder Berliner Größen wie Johannes Grützke (Brockstedt). Doch wer hochkarätige Kunst aus der Türkei suchte, war im zentral gelegenen Congress Center richtig. Laut Veranstalter kamen 62 000 Besucher, davon 2100 Sammler. 75 Prozent soll verkauft worden sein, mit einem Gesamtumsatz von 32,5 Millionen Euro. Neunzig Galerien stellten aus zwanzig Ländern aus, über die Hälfte aus der Türkei. Große internationale Namen waren nicht dabei. Ein Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf Kunst aus den Golfstaaten.

Beim Rundgang über die fast verdoppelte Ausstellungsfläche fällt sofort auf: engagierte Kunst, überall. Da ging es um die Rolle der Frau, Sexualität und gesellschaftliche Werte. Der Umbruch der boomendenTürkei, die innere Zerrissenheit zwischen Tradition und Moderne, reflektiert sich in der Kunst. Das Interesse sei groß, bei internationalen wie türkischen Sammlern, so Galerist Güleryüz: „Die einen wollen Antworten auf ihre Fragen über eine fremde Kultur, die anderen einen Spiegel ihrer selbst.“ Güleryüz schuf 2004 als einer der ersten mit seiner Galerie x-ist eine Plattform für junge türkische Kunst. An seinem Stand gruselt Asens am Computer grotesk zusammenmontierte Szenerie aufgeschnittener Schweine in einem Operationssaal. Die Tiere stehen für die Diktatoren der arabischen Welt (25 000 Euro).

Die Istanbuler Galerie Rampa bedient zweierlei Geschmäcker: sowohl abstrakte, farbschöne Ölmalerei von Ahmet Oran oder minimalistische Wandinstallationen von Ayse Erkmen wie auch subtil feministische Fotoarbeiten von Nilbar Güres. Sie schwanken zwischen Inszenierung und Dokumentation und zeigen türkische Konflikte jenseits aller Klischees. Für ihre Serie „Çirçir“, benannt nach einem von ländlichen Einwanderern geprägten Istanbuler Vorort, hat Güres Frauen vor die Kamera geholt, die sonst von ihren Männern in den Häusern versteckt werden (11 500 - 13 000 Euro).

Am Stand von „Galerist“, der bekanntesten Adresse der Stadt, klebten bereits am Eröffnungsabend rote Punkte, neben den Lamellen-Wandskulpturen von Haluk Akakçe (25 000 Euro) oder der riesigen Schwarz-Weiß-Aufnahme einer Klitoris von Rasim Aksan (7500 Euro). „Istanbul ist wie Berlin vor 15 Jahren“, so der Düsseldorfer Fotokünstler Axel Hütte, dessen spiegelnde Wasserflächen bei Dirimart für 25 000 bis 50 000 Euro angeboten wurden. „Alle haben das diffuse Gefühl, hier passiert etwas.“

So hatte sich auch die Berliner Galerie Seitz & Partner entschieden, erneut an den Bosporus zu kommen. „Internationale Sammler findet man hier selten. Aber die Türken schauen mit einem gewissen Stolz auf die Entwicklung der Kunstszene“, so Uli Seitz. Deshalb hatte sie dortige Künstler im Gepäck: Die Blüten-Papier-Lack-Schichtungen von Tayfun Erdogmus (6000-9000 Euro) oder das Foto-Stillleben von Dennis Gün, der abendländische und orientalische Gegenstände miteinander vereint (12 500 Euro). Anna Pataczek

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false