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Gebildet sind wir sowieso. Unsinkbare Badeanzüge tragen die amerikanische Frau 1925 in ein neues Zeitalter. Foto: akg-images

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Frauenbewegung: Der Unsinn vom falschen Bewusstsein

Die weibliche Emanzipation hat heute viele Gesichter: Die Historikerin und Publizistin Miriam Gebhardt über einen Feminismus, der normierte Ideale aus den siebziger Jahren überdenken muss.

Frau Gebhardt, in Ihrem Buch „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“ (DVA) gehen Sie ins Gericht mit dem erzieherischen Feminismus der siebziger Jahre, den Sie in Alice Schwarzer verkörpert sehen. Der „Ändere Dich gefälligst-Feminismus“, wie Sie ihn nennen, forderte die Frauen auf, an sich selbst zu arbeiten, um sich zu emanzipieren. Was stört Sie an diesem „Gesinnungsfeminismus“?

Die Tatsache, einem Geschlecht zugeordnet zu werden, ist existenziell, da haben die Feministinnen nach wie vor Recht. Weil es einen ganzen Rattenschwanz von Konsequenzen nach sich zieht, bis hin zu den Renten, die am Ende ungleich sind. Aber ich glaube, dass es heute nicht mehr angemessen ist, eine feministische Norm zu erheben. Etwa zu sagen, du bist nur dann eine emanzipierte Frau, wenn du wirtschaftlich autonom bist. Oder wenn du weißt, dass deine Liebe zum Kind eine soziale Konstruktion ist. Am deutschen Feminismus der siebziger Jahre hat mich gestört, dass er sagt: Was du da wünschst und empfindest, ist kein authentisches Bedürfnis.

Die Frau, die abhängig bleiben will, hat ein falsches Bewusstsein ?

Ja, das ist ein wichtiges Stichwort, das aus der linken Bewegung kommt.Das falsche Bewusstsein musste in Frauengruppen aberzogen werden, damit die Frauen erkennen, dass das, was sie fühlen und denken vom Patriarchat infiziert ist. Dieser Ansatz ist heutzutage nicht mehr möglich. Damit verprellt man mindestens die Hälfte der Frauen, und das halte ich für kontraproduktiv. Dieser eindimensionale Blick auf den Menschen, der sich angeblich nur rational verhalten soll und der angeblich nur immer das tun soll, was der Befreiung dient, unterschlägt die ambivalenten und widersprüchlichen Bedürfnisse, die man aber damit nicht aus der Welt schafft.

In Ihrem Buch schreiben Sie sinngemäß, der Feminismus müsse einer Frau auch das Recht zugestehen, sich nicht emanzipieren zu wollen. Die französische Feministin und Wissenschaftlerin Elisabeth Badinter warnt junge Frauen dagegen gerade in der Krise davor, das Ziel der wirtschaftlichen Unabhängigkeit aus den Augen zu verlieren. Sie sagt, es gibt keine Gleichberechtigung ohne ökonomische Autonomie.

Wir leben ja nun in einer Post-Arbeitswelt. Wir leben in einer Welt, in der allen klar ist, dass nicht genügend gut bezahlte oder menschenwürdige Arbeit da ist. Wir rücken das ja nur aus dem Blickfeld, indem wir es in Entwicklungsländer verschieben. Die Idee, für die Badinter noch steht – Autonomie durch Arbeit – ist ja erstens durch die realen Umstände überholt und zweitens historisch einzuordnen. Dieses Denken ist ein Produkt der Moderne und der Industrialisierung.

Da glaubte man, durch Arbeit die Nation voranzubringen. Aber es gibt ja längst andere Denkansätze. Die Konsequenz könnte ja auch sein, dass es ein Grundeinkommen gibt. Oder eine Rente für Pflegearbeiten. Zu sagen, alle müssen durch Erwerbsarbeit autonom sein, egal wie diese Erwerbstätigkeit aussieht, egal, wie sie bezahlt wird, entspricht einer Wohlstandsperspektive.

"Warum muss jeder Mensch ein wirtschaftlich selbstständiges Individuum sein?"

Gebildet sind wir sowieso. Unsinkbare Badeanzüge tragen die amerikanische Frau 1925 in ein neues Zeitalter. Foto: akg-images
Gebildet sind wir sowieso. Unsinkbare Badeanzüge tragen die amerikanische Frau 1925 in ein neues Zeitalter. Foto: akg-images

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In Deutschland sind in den Niedriglohngruppen zu siebzig Prozent Frauen beschäftigt. Wollen Sie eine alleinerziehende Frau, die mehr als prekär von solcher Arbeit lebt, auf das Grundeinkommen in ferner Zukunft vertrösten?

Ich nehme mal ein anderes Beispiel. Es gab lange in der Behindertenpflege den Ansatz: Wir therapieren die Behinderung dahingehend, dass der Mensch in der Lage ist, sich selbstständig durchzuschlagen. Jetzt gibt es ein neues Paradigma, das sagt: Wir müssen es individualisieren. Es mag nicht jedem Behinderten guttun und gefallen, ein wirtschaftlich autonomes Individuum zu werden, das auf dem Markt seine Arbeitskraft verkauft. Es gibt ja vielleicht auch das Bedürfnis, dass ich mich in einer heilpädagogischen Institution stützen lasse. Warum muss jeder Mensch eigentlich ein wirtschaftlich selbstständiges Individuum sein? Warum kommt ein Mensch erst dann in unserer Gesellschaft an? Dieses Denken ist ja auch unglaublich normativ und autoritär.

Sie sagen in Ihrem Buch, der Feminismus habe sich nicht erledigt. Welche Ziele könnte er jetzt haben?

Es muss um Strukturen gehen, aber dabei können Themen wie die Kinderbetreuung nicht nur an die Geschlechtergerechtigkeit geknüpft sein. Der für viele nachteilige Rückbau des Sozialstaats müsste ein Thema sein, die Kluft zwischen den Löhnen und Einkommen. Und auf diese Themen hat der deutsche Feminismus, wenn wir ihn jetzt mal identifizieren wollen, mit Alice Schwarzer, nicht gerade gesetzt. Sie gehörte der Wirtschaftwundergeneration an, und diese Generation hat nicht sehr über Strukturen nachgedacht.

Sie beklagen dabei auch den mangelnden Austausch zwischen Wissenschaft, Medien und Politik.

Ja, da herrschen in Deutschland oft Misstrauen und gegenseitige Ignoranz. Es wäre wichtig, die Angst vor der Theorie zu überwinden und an den internationalen Diskurs anzuschließen, vielleicht auch einmal mit eigenen Impulsen. Ich finde es als Geisteswissenschaftlerin auch betrüblich, dass von unseren Gender-Wissenschaftlerinnen keine Impulse kommen. Die kennt man nicht, und man weiß nicht, wofür sie stehen.

Ein Thema ist für Sie auch die Islamdebatte.

Da hat sich ja der Feminismus, auch verkörpert durch Alice Schwarzer, verbündet mit der Islam-Phobie. Ich frage mich, was fühlen junge Frauen mit Kopftuch an der Uni oder in der Behörde angesichts der Unterstellungen, die dieser Feminismus ihnen gegenüber hegt: Sie trügen das Kopftuch als Symbol ihrer sexuellen Unterdrückung, sie könnten nicht denken, also die ganze Abwertung, mit der man diesen Frauen begegnet. Die Angst vor den anderen wird zusammengeschüttet mit dem Feminismus. Und damit kann man dann angeblich politisch-korrekt gegen den Islam argumentieren.

Sie kritisieren das Menschenbild dieser Ausprägung des Feminismus.

Ich finde das unerträglich. Der Feminismus sollte immer ein gerechtes Menschenbild haben und allen Menschen ein gleich großes Potenzial an Entwicklungschancen einräumen. Das tun wir nicht, wenn wir sagen, muslimische Frauen sollen gefälligst ihr Kopftuch abnehmen.

Kommen wir auf eine andere Norm, die des Aussehens. Die englische Feministin Natasha Walter beschreibt die Selbst-Zurichtung der jungen Frauen als „living dolls“, als lebende Barbie-Puppen.

Eine junge Frau hat mir gerade in einer Diskussion gesagt, dass dieses Thema existenziell sei. Denn eine Frau, die durch die Schlankheitsnorm magersüchtig werden würde, verliere ihre Chancen auf ein gesundes Leben, auf einen Arbeitsplatz. Mein Gegenargument ist, dass es auch die Männer betrifft, nicht in dem Ausmaß wie Frauen, aber auch die Männer stehen in der Dienstleistungsgesellschaft unter dem Druck, gut auszusehen, die Zahl der Schönheitsoperationen nimmt auch bei Männern zu.

Ist der Schönheitszwang eine Gegenreaktion auf die Freiheit der Frauen? Er kam, so schreibt Walter, in den achtziger Jahren auf, als viele Frauen zum ersten Mal gute Positionen erreichten.

Anfang des 20. Jahrhunderts hat es dieses Phänomen schon einmal gegeben. Einerseits wird strukturell etwas verändert. Jetzt etwa mit den Unisex-Tarifen bei Versicherungen. Aber kulturell gibt es wieder das Bedürfnis nach klaren Unterscheidungen.

Das Gespräch führte Christina Bylow.

Miriam Gebhardt,

Miriam Gebhart fordert einen neuen Feminismus.
Miriam Gebhart fordert einen neuen Feminismus.

© Quirin Leppert

geboren 1962, ist Historikerin, Journalistin und Buchautorin. Sie lehrt als Privatdozentin an der Universität Konstanz und lebt im Isartal bei München.

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