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Kultur: Frauentrauer

Nach der Schlacht: eine Begegnung mit Kirsten Harms, der Chefin der Deutschen Oper

Jetzt spricht sie nicht mehr. Und wahrscheinlich ist das auch ganz klug und ratsam so. Zu groß die Gefahr, sich in einer Angelegenheit, die von Anfang an im Dickicht der Stadt spielte, um Kopf und Kragen zu reden. Zu breit die Phalanx der süffisanten Kritiker und prominenten Meinungsgegner. Und zu klein, zu kleinlaut das Scherflein der Andersgläubigen. Nachdem Kirsten Harms zunächst die Flucht nach vorn angetreten hatte und in Sachen „Idomeneo“ von Stern-TV bis zur Boulevardpresse eine tapfere Medienrunde drehte, empfängt sie einen jetzt in ihrem Charlottenburger Büro, schaut elegisch aus dem Fenster und sagt, dass sie nichts sagt. Vorerst. Weil von ihrer Seite alles gesagt sei. Und sie mit Wiederholungen niemanden langweilen wolle.

Das heißt: Die Frau, deren apartes Äußeres – ja, so schlecht, so testosterongesteuert ist die Welt! – den Mächtigen und Männern bisweilen ein leichtes allzu leichtes Spiel vortäuscht (was sich wiederum ausnutzen lässt), diese Frau bleibt stur. Und bei ihrer Entscheidung. Ist das jetzt stark oder schwach? Und was bedeutet es: Dass Mozarts „Idomeneo“ im November an der Deutschen Oper definitiv nicht gespielt wird? Dass die weltweite Empörung darüber Harms nicht anficht? Dass jetzt erst einmal die anderen dran sind mit Hausaufgaben, allen voran Berlins Innensenator Körting? Ein blassblondes Lächeln: kein Kommentar.

Bei Udo Zimmermann, Harms’ mittelbarem Vorgänger im Amt, stand der Intendantenschreibtisch links. Jetzt steht er wieder rechts, genau da, wo einst Götz Friedrich residierte. Ein Symbol, die tägliche Selbstbeschwörung? Westberlin mag vergessen haben, dass auch in der Ära Friedrich längst nicht alles golden war, was heute im Schein seliger Erinnerung so glänzt. Trotzdem ist es Kirsten Harms bislang nicht gelungen, an Friedrichs Nimbus und die ehedem internationale Bedeutung der Deutschen Oper anzuknüpfen. Vertrackt, aber wahr: Das Haus hat keine positive Aura, keinen Sex-Appeal, es ist kein Muss (mehr) in der Stadt.

Und nicht einmal eine Affäre wie die aktuelle – Blauäugigkeiten hin oder her – versteht man dort so zu münzen oder umzumünzen, dass es am Ende die Institution ist, die profitiert. Denn, Hand aufs Herz: Eine bessere Reklame als die Verwerfungen um Hans Neuenfels’ „Idomeneo“-Inszenierung gibt es doch gar nicht. Jeder türkische Taxifahrer und jeder Bundespolitiker spricht den Stücktitel inzwischen fließend aus, alle wollen jetzt (angeblich) in die Oper, kurz: Das Leben ruft. Und daraus soll kein Kapital zu schlagen sein? Stirnrunzeln.

Harms’ eigenverantwortliche Zeit als Intendantin beginnt bekanntermaßen just jetzt, mit der Spielzeit 2006/07. Und das soll man auch merken, dafür gibt es Symptome. Die vielgeschmähte Waschbetonfassade des Bornemann-Baus erstrahlt seit der Eröffnungsgala im luftigen Glitzerkleid, es gibt ein niegelnagelneues Restaurant, und mag das riesige, güldene, vom frisch gewonnenen Sponsor VW bezahlte Plakat am Ernst-Reuter- Platz auch nicht gerade vor Information und Erotik knistern („Große Oper!“): Ein repräsentativer Hingucker ist es allemal.

Sie bewegt sich also doch, die Deutsche Oper. Nur: zu spät? Es scheint, als würde Kirsten Harms ausgerechnet aus der Tatsache, dass sie den Berliner Hilferufen folgte und sich zwei Jahre vor der Zeit in die Pflicht nehmen ließ, nun versuchsweise der Strick gedreht. Ihre Arbeit seit September 2004, das Zusammenfegen des über Jahre hinweg zerschlagenen Porzellans im Haus, die Opernstiftung – all dies wurde weder recht sichtbar noch kommuniziert. So nimmt sich „die Affäre“ zwangsläufig aus wie das hässliche Tüpfelchen auf einem verbeulten „i“. Jeder männliche Intendant, pardon, hätte in dieser Situation Wind gemacht – um sich zu positionieren. Und um die ekligen Kröten besser verdauen zu können, die man in einer solchen Interimszeit notgedrungen zu schlucken hat.

Das, sagt Kirsten Harms mit blitzenden Katzenaugen, sei nicht „ihr Stil“. Aber es ist der Kern des Problems: Diese Frau, die im Umgang mit Macht und Mächtigen geübt sein muss, hasst Selbstdarstellungen. Sie sagt erst, was sie tut, wenn es getan ist. Sie schlägt sich nicht auf die Brust. Und sie tritt niemandem gegen das Schienbein. Nicht einmal, wenn man sie gnadenlos im Regen stehen lässt. Eine Masche, eine Maske? So oder so: Was ihre Karriere betrifft, war Harms damit erfolgreich. Am Ende aber könnte das „Idomeneo“-Ganze doch eine Geschichte über Frauen und Männer sein und darüber, wie einem das Spiel mit der Naivität, der unbedingte eigene Anstand zum Verhängnis werden kann.

Zwei Dinge lassen hoffen: Der 3. Oktober, an dem Kirsten Harms ihre Sprache wiederfindet und sich mit Ehrhart Körting, Thomas Flierl, Bischof Huber, John Kornblum und anderen der Diskussion stellt (Deutsche Oper, 11 Uhr). Und die Wände in ihrem Büro. Denn die hat sie bestimmt nicht von ungefähr in kampfeslustigem Rot streichen lassen.

Christine Lemke-Matwey

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