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Janet Bean und Catherine Irwin sind Freakwater.

© Edward Neay

Freakwater live in Berlin: Warmer Wind aus der Prärie

Feine Balladen, Zeitlupenwalzer und Hinterwäldler-Charme: Das Americana-Duo Freakwater gab ein formidables Konzert im Berliner Privatclub.

Wenn die Tage immer kürzer und die Gesichter wieder länger werden, freut man sich besonders über die Rückkehr eines Frauenduos, das sich nach einem Hillbilly-Slang für schwarzgebrannte Spirituosen benannt hat und einem das Herz wärmt wie guter Schnaps an kalten Tagen.

Catherine Irwin und Janet Beveridge Bean aus dem Städtchen Louisville in Kentucky lärmten in Punkbands bevor sie 1985 anfingen vom Aussterben bedrohte Schunkel-Melodien aus den Plattensammlungen ihrer Großeltern zu retten. Mit ihrer herrlich torkelnden Old-Time-Musik wurden sie zum Aushängeschild einer in den Neunzigern unter dem schwammigen Genrebegriff Alternative Country oder Americana zusammengefassten Szene, deren Breitenwirkung sich erst später so richtig entfalten sollte.

Sofort springt die innere Zentralheizung an

Nach elf Jahren Pause sind sie wieder da und schon fliegt beim Auftritt im Privatclub mit dem ersten Song die Tür zum Honky-Tonk-Saloon auf. Heraus tönt dieser unverkennbare Freakwater-Sound, eine feinfühlige, verwegen schöne Musik, die sofort die Herzkammern zu fluten beginnt und die innere Zentralheizung auf Touren bringt. Fein gestrickte Balladen und rustikale Tanzbodenfeger, durch die Reste amerikanischer Urigkeit sickern, mit rauzärtlichen, umherirrenden Melodien, die nach den blauen Bergen der Appalachen und der staubigen Prärie schmecken. Dazu blitzgescheite Texte, die sich als Poeme von großer Dichte und Intensität entpuppen, die sich gegen Entfremdung und falsche Gefühle sowie eine Menge anderer Übel richten.

Akustische Schrammelgitarren und Pluckerbanjos

Getragen von einem humorigen Hinterwäldler-Charme, der immer wieder in ergreifende Stimmungsbilder umschlägt, ziehen Freakwater das Publikum in ihren sanften Bann, juchzen und schluchzen, bis der Geist der legendären Louvin' Brothers über den feuchten Augen schwebt. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Während Janet Beveridge Bean mit ihrer hellen, an Country-Ikone Emmylou Harris erinnernden Sopranstimme jubiliert, manövriert Catherine Irwin die Songs mit ihrer dunklen Knarzstimme in Richtung Tiefe und Tragik. Dabei singen die Damen so fest und zärtlich, wie es nur wenige können und sie kennen all die kleinen Schlenker, die um den Schmalztopf herumführen. Und schon schwimmen die Lieder schimmernd davon, getragen von akustischen Schrammelgitarren oder Pluckerbanjo, flankiert von einer schön fiedelnden Geige, Schlagzeug, Stromgitarre und dem aufmerksam die Details betonenden Bassisten David Wayne Gay, der das Duo seit ihrer Gründung unterstützt.

"War Pigs" als Hillbilly-Coverversion

Das meiste stammt vom vorzüglichen neuen Album "Scheherazade", der grandiose Zeitlupenwalzer "Bolshevik & Bollweevil" oder das abgründige "Number One With A Bullet", dazu kommen alte Favoriten wie "Old Drunk Friend" und eine verschlagene Hillbilly-Version von Black Sabbaths "War Pigs" sowie andere Songs voller Hingabe, die sich nie schnöder Dramatik oder aufdringlicher Struktur fügen, obwohl sie sicherer und festgefügter klingen als das, was andere Bands normalerweise aus dem Erbe von Hank Williams und der Carter Family machen. Eine Musik, die mitten ins Herz greift und die stärksten Männer zum Weinen bringt, weil sie einen entweder furchtbar traurig macht oder himmlisch-besoffen glücklich. Schöner kann Roots-Musik heutzutage jedenfalls nicht klingen. Und was könnte wert­voller sein, nun, da der goldene Herbst begonnen hat.

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