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Kultur: Frech wie Oscar

Selbstbewußter geht es kaum.Erstmals greifen die Zeremonienmeister des alljährlichen Weiheaktes nationaler Filmförderung, Deutscher Filmpreis genannt, sich massiv die Berliner Mitte.

Selbstbewußter geht es kaum.Erstmals greifen die Zeremonienmeister des alljährlichen Weiheaktes nationaler Filmförderung, Deutscher Filmpreis genannt, sich massiv die Berliner Mitte.Eine ganze Woche lang legen sie die für das Berliner Herz- und Schnauzenparadies hypersensible Durchfahrt durchs Brandenburger Tor still und fachen - mit den Worten der Gala-Impresaria Regina Ziegler - den Entrüstungssturm sogar noch munter an."Die Berliner konnten jahrelang nicht durchs Tor gehen, da werden sie noch ein paar Werktage mehr verkraften", ließ sie im Blick auf die Vorbereitungen zur heutigen Riesenzelt-Party mit 2000 Gästen verlauten, und schob nach, verglichen mit der Bedeutung des Ganzen könne das Gemecker der "Hausfrau aus Marzahn" wohl kein Maßstab sein.Keine Frage, auch Regina Ziegler, rothaarige, resolute und selbstbewußt raumverdrängende Filmproduzentin, ist Berlinerin, gar West-Berliner Urgestein - und als solche poltert sie zurück, daß sich die Balken biegen.

Immerhin: Wer ungestraft so auszuteilen wagt, muß auch Verdienste haben.Vor drei Jahren übernahm Ziegler die Verantwortung für das vom Bundesinnenminister bestellte Festkomitee - und befreite das jahrzehntelang durch die üblichen Berliner Großsäle tingelnde Unternehmen stante pede von seinem bislang meist peinlichen Jahreshauptversammlungs-Image.Deutscher Oscar statt brave Feier für die Kassenbesten des Kinojahrs - das war die Devise.Zieglers Start im Friedrichstadtpalast wurde zwar als arg pompös empfunden, aber immerhin erstickte sie damit im Keim plötzliche Begehrlichkeiten Nordrhein-Westfalens, den stets an Berlin gebundenen Preis nach Köln zu holen.Es folgte - Ziegler: "Wir suchen immer neue ungewöhnliche Orte" - die Fete in der Deutschen Oper, unvergessen wegen Ottos Rock-Konzert auf der Hinterbühne und Megahektolitern Mineralwasser, die in den Kehlen unterm heißen Flachdach des Opernhauses verdampften; 1997 schließlich lud man in einen häßlichen Tempelhofer Hangar, aber da der deutsche Film damals schwer an seinen frischen Muskeln trug, saßen die Gäste sogar diese eher fade Bodybuilding-Show demütig aus.

Diesmal nun muß es mit dem Brandenburger Tor die feinste Kulisse der Stadt sein - nur wofür? Auf der Bühne wird eher ein Trauerspiel gegeben, denn der Kino-Jahrgang war, blickt man nur auf Originalität im Künstlerischen und Attraktivität an der Kasse, weitaus schwächer als 1997.Die beiden Faktoren gehören näher zusammen, als man denkt - schließlich ist der stets verführbare Kinozuschauer, zumindest was den deutschen Film angeht, durchaus anspruchsvoll.Ein Meisterwerk wie "Rossini" oder auch eine thematisch mutige Arbeit wie "Jenseits der Stille", beide letztes Jahr beim Zuschauer wie beim Filmpreis erfolgreich, ist diesmal nicht in Sicht."Wenn man es allen recht machen will, bewegt man sich im Rahmen der Mittelmäßigkeit", hat Regina Ziegler zur Verteidigung ihrer Platzwahl gesagt, aber damit nebenbei auch dem neuesten deutschen Film das Urteil gesprochen.Denn was hat die Jury schon nominieren können? An der Kinokasse triumphierte - mit Joseph Vilsmaiers Weichzeichner-Musikgeschichte "Comedian Harmonists" und dem von Rainer Kaufmann solide visualisierten Bestseller "Die Apothekerin" - allenfalls Konfektion.Den künstlerisch ehrgeizigeren, aber schwierigen Projekten, Tom Tykwers "Winterschläfer" und Peter Sehrs "Obsession", mochte das Publikum nur zögernd folgen, was Cineasten im Fall von "Winterschläfer" besonders schmerzen mag; die dramaturgisch qualvoll dahinhumpelnde Klamotte "Frau Rettich, die Czerni und ich", gut allenfalls für ein Zucken auf der Richter-Skala der Publikumsgunst, ist als Konkurrent um die begehrten Filmbänder eher ein Witz.Hinzu kommen zwei Erstlingswerke, Janek Riekes "Härtetest" und Peter Lichtefelds romantische Komödie "Zugvögel", kleine Produktionen mit überschaubarem Zuschauerpotential."Zugvögel", mit einem wunderbaren Joachim Król in der Hauptrolle, überzeugt am ehesten als ein in all seinen Elementen stimmiger Film - aber wird die Jury so verwegen sein, ausgerechnet das einzige dem Publikum noch gänzlich unbekannte Werk auf den Schild zu heben?

Immerhin geht es um viel Geld, und angesichts der übers Jahr eher schlappen Kassenergebnisse laufen die 500 000 Mark pro Nominierung und erst recht die Million für das Filmband in Gold durchaus nicht nur unter Mitnahmeeffekt.Die reichlich heterogen zusammengesetzte zehnköpfige Jury - ihr gehören an: Filmregisseurin Dagmar Hirtz, Festivalmacher Ulrich Gregor, die Journalisten Margret Köhler, Margit Voss und Hans-Dieter Seidel, die Kinobesitzer Felix Esch und Adrian Kutter, die Bundestagsabgeordneten Otto Regenspurger (CSU) und Elke Leonhard (SPD) sowie Elke Schieber, Vizechefin des Filmmuseums Potsdam - kann daher, anders als im vergangenen Jahr, sogar ein bißchen Schicksal spielen.Wenn sie heute vormittag zu ihrer Schlußsitzung zusammenkommt, um Bundesinnenminister Kanther die alljährliche Vorlage zur Staats-Filmspende zuzuspielen, muß sie nur noch die absolute Mehrheit für einen Kandidaten finden.Aber wenn es dann womöglich unversöhnlich 5 : 5 steht?

Ein Bewerber immerhin tritt mindestens so selbstbewußt auf wie Gala-Impresaria Regina Ziegler - und natürlich sitzt auch er, frech wie Oscar, mitten in Berlin: Filmproduzent Hanno Huth.Mit seiner Firma Senator hat er die "Comedian Harmonists" im Rennen.Viermal ist das Sangeswerk, Kandidaturen für Darsteller und Regie inklusive, nominiert - und hat damit, gegenüber je drei Nominierungen für "Die Apothekerin" und "Winterschläfer", die Nase vorn.Den Sieg hat Hanno Huth offenbar schon lange fest gebucht: Am 11.Juni, also direkt nach dem Berliner Top-Event, so ließ er die Presse vor Wochen wissen, gehen die "Comedian Harmonists" erneut an den Kinostart - und das mit knapp 400 Kopien, rund halb soviel wie unlängst bei "Titanic"! Der Aufwand ist ein hübsches Kompliment an die Zugkraft des deutschen Oscars, weniger für die "Comedian Harmonists" selbst.Warum, so fragt sich, drückt hier jemand einen kaum sechs Monate alten, restlos abgespielten Millionenerfolg erneut ins Kino? Vielleicht weil derlei Filme nur für das Kürzestgedächtnis taugen.

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