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Kultur: Frechheit siegt

Die italienische Affäre wirft ein Schlaglicht auf den Verfall der politischen Kultur in der Regierung Berlusconi

Vergangene Woche erregte sich ganz Deutschland über den Nazi-Vergleich Silvio Berlusconis und das Deutschen-Bashing seines inzwischen zurückgetretenen Staatssekretärs für Tourismus, Stefano Stefani. Urlaube an der Adria werden abgesagt, die Bildzeitung fliegt Deutsche aus Protest nach Rimini, und im Ausland fragt man sich, ob das deutsch-italienische Verhältnis nun ernsthaft belastet sei. Sorgen muss man sich aber nicht so sehr um die Beziehung der beiden Nationen als vielmehr um den Zustand Italiens. Denn das, was sich Berlusconi und Stefani innerhalb nur einer Woche geleistet haben, mag in Europa für Aufruhr sorgen. In Italien gehören solche Ein- und Ausfälle zum politischen Alltag.

Der politische Stil, den die Regierung Berlusconi in den zwei Jahren ihrer Amtszeit geprägt hat, ist der einer der kontinuierlichen Grenzüberschreitung. Wenn schon die Substanz des Phänomens Berlusconi – Medienmogul, reichster Mann des Landes, vielfach Angeklagter und doch Ministerpräsident – den üblichen Rahmen demokratischer Spielregeln sprengt, so gilt das noch mehr für seine Rhetorik und die der gesamten Regierungsmannschaft. Zugegeben, Politiker in Italien waren nie zimperlich. Man erinnert sich an Schlägereien im Parlament und an einen Außenminister, der vorzugsweise in Diskotheken anzutreffen war. Gleichzeitig zeichnete Italiens Demokratie jedoch immer ein hohes Maß an Stilbewusstsein aus. Es war eine Sache, als Parlamentarier ausfallend zu werden. Doch in Regierungsämtern überwog die Würde des Funktionsträgers die Streitlust des homo politicus. Präsidenten, Kammervorsitzende und Regierungschefs haben sich ihren Ämtern mehr anverwandelt als diese sich umgekehrt ihnen. Seit Berlusconis Amtsantritt ist es damit vorbei.

Am deutlichsten wird dieser Klimawechsel am Beispiel des Staatspräsidenten Carlo Azeglio Ciampi, der mit seinen 82 Jahren zur alten Garde gehört. Er versteht seine Rolle als höchster Repräsentant des Staates im klassischen Sinne: Enthoben und zurückhaltend mahnt er nur hin und wieder sanft zur Mäßigung. Bisher hatte das genügt. Wenn der Präsident mit diskreten Andeutungen in eine Debatte eingriff, konnte er sich der Schlagzeilen auf der Titelseite der Zeitungen sicher sein. Ein Pater Familias, der die wilden Rangen zur gebotenen Zeit zur Raison brachte.

Doch bei Silvio Berlusconi hilft das kaum noch. Der frühere Sänger auf Kreuzfahrtschiffen und Meister der lauten Medienwelt hat Schluss gemacht mit dem altbacken Steifen und den Formalitäten. Er macht gerne mal Witze über den Staatschef oder droht gar mit einer Verfassungsänderung, um dessen Amtszeit zu verkürzen. Wie hilflos die alte Ordnung gegenüber dem frechen Emporkömmling ist, hat die Affäre um das Immunitätsgesetz gezeigt. Ohne Verpflichtung und ohne verfassungsrechtliche Prüfung hat Ciampi dem Druck der Regierung nachgegeben und das Gesetz schnellstens unterzeichnet. Eine Hast, die den Richtern in Mailand jede Chance nahm, das Verfahren gegen Berlusconi vielleicht doch noch vor Inkrafttreten des Gesetzes abzuschließen.

Ciampis Verhalten ist symptomatisch für die Veränderung der gesamten politischen Kultur. Schon im Wahlkampf war es zu Verzerrungen des öffentlichen Diskurs gekommen – ein Ergebnis von Berlusconis Medienmacht: Fast schien es, als hätte man sich stillschweigend darauf geeinigt, dass Hinweise auf Berlusconis kriminelle Verstrickungen nicht zum guten Ton gehörten. Selbst manches linke Blatt brauchte erst den Anstoß aus dem Ausland – etwa eine Titelgeschichte des britischen „Economist“,– um sich der italienischen Angelegenheiten ausführlicher zu widmen. Damals gaben sich Berlusconi und seine Koalitionspartner, selbst der zu unkontrollierbaren Ausbrüchen neigende Umberto Bossi von der Lega Nord, noch handzahm. Man wollte ja die moderaten Wähler nicht verschrecken.

Seit dem komfortablen Wahlsieg aber sind alle Dämme gebrochen. Eine Vielzahl von kleinen und großen Skandalen, an die man sich in Italien längst gewöhnt hat. Da ist etwa der postfaschistische Informationsminister, der sich in eine Live-Sendung schalten lässt, weil ihm eine Satire nicht gefallen hat. Oder Berlusconi selbst, der auf Staatsbesuch in Bulgarien die Absetzung zweier kritischer Journalisten des staatlichen TV-Senders Rai fordert, was später dann tatsächlich geschieht. Oder Signor B. beim EU-Gipfel in Spanien, wo er beim offiziellen Fototermin dem Gastgeber Hörner aufsetzt. Der in Rom einen europäischen Staatsgast mit Bemerkungen über die Liebesaffären von dessen Frau in Verlegenheit bringt und entlassenen Fiat-Arbeitern zur Schwarzarbeit rät. Und immer wieder Bossi, der die EU als faschistisches Henkerland bezeichnet und mit Kanonen auf Flüchtlingsschiffe schießen will. Von den immer rüder werdenden Ausfällen gegen die Mailänder Richter ganz zu schweigen. Umstürzler und Kommunisten, die einen Staatsstreich planten, lauteten die Vorwürfe, die bald schon in den Sprachgebrauch von Berlusconis Koalition übernommen wurden.

Wenn hinter all dem eine Strategie steckt und nicht nur ein Mangel an Staats- und Demokratieverständnis, dann wohl die: die Hemmschwelle immer niedriger zu setzen. Natürlich gibt es sie noch, die unabhängigen Blätter wie etwa „Repubblica“, „Stampa“ oder auch der „Corriere della Sera“, den Berlusconi gerade versucht, auf Linie zu bringen. Aber Italiener sind keine großen Zeitungsleser. Und die Fernsehsender werden zu etwa 90 Prozent von Berlusconi beherrscht. Wer die italienischen Medien verfolgt, wird deshalb öfter ein gewisses Unbehagen spüren. Warum gibt es keinen Aufschrei, wenn wieder einmal ein Regierungsmitglied Unsinn redet oder wenn es im Parlament wie bei einer Laienspieltruppe zugeht? Und warum haben Berlusconi und Bossi immer wieder Erfolg, wenn sie auf der patriotischen Klaviatur abgedroschene Hits spielen?

Deren einziges Argument lautet: Wir haben die Wahlen gewonnen, jetzt ist alles unser. Vox populi also. Nein, wer Italien liebt, muss nicht beleidigt sein wegen ein paar deutschenfeindlichen Bemerkungen. Wer Italien liebt, muss sich Sorgen machen über ein Land, dessen politische Streitkultur keine zivilen Grenzen mehr kennt.

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