zum Hauptinhalt

Kultur: Freie Hagebutten

Die Kulturminister der zehn neuen EU-Länder treffen sich in Berlin

Die schönsten Worte auf Ungarisch sind: Schmetterling. Schnürsenkel. Schäfchenwolken. Sonnenschein. Der schönste Satz auf Estnisch lautet: „Fahre leise über die Brücke.“ Der schönste Feiertag in Slowenien ist der Kulturtag. Und der schönste Tag des Tschechen Zdenek Novák war der Donnerstag: Er saß auf dem Podium in Berlin, gemeinsam mit allen Kulturministern der zehn neuen EU-Länder, an seinem Geburtstag: „Das ist der glücklichste Geburtstag meines Lebens.“

Kulturstaatsministerin Christina Weiss hatte, zusammen mit der Dresdner Bank, ihre neuen Kollegen nach Berlin eingeladen, als Auftaktveranstaltung zum „Kulturjahr der Zehn“. Mehr als eine Vorstellung war es in den knapp zwei Stunden im Atrium der Dresdner Bank am Pariser Platz nicht. Erhellend war sie trotzdem: Nicht nur, weil deutlich wurde, dass das kulturelle, nicht das wirtschaftliche Interesse das Bindeglied zwischen den zehn Nationen bildet, die sich von jeher als Europäer begreifen. Allein, dass mehr als die Hälfte des Podiums fließend Deutsch sprach, machte deutlich, wie selbstverständlich der Blick nach Westen für Ungarn, Litauer, Slowenen und Tschechen ist.

Einige Wermutstropfen schenkte der polnische Staatssekretär Michal Tober ein, indem er an die schmerzhaften Erinnerungen mahnte, die das Erbe des 20. Jahrhunderts seien. Erinnerungen, die in Teilen Europas lange durch Stereotypen ersetzt worden seien. Es komme darauf an, nicht auf den eigenen Überlieferungen zu beharren, sondern den verschiedenen Erinnerungen aufmerksam zuzuhören. Ein Kommentar zum Thema Vertriebenengedenken, das in Polen die Gemüter ganz anders erhitzt, als es sich die deutsche Öffentlichkeit vorstellen kann. Im Übrigen: Es gebe auch positiv besetzte Erinnerungsorte wie das zum internationalen Begegnungszentrum umgebaute Gut Kreisau oder den Pückler-Park in Muskau.

Das war das Stichwort für Christina Weiss: Die Gastgeberin plädierte für ein „Blaubuch“ der „kulturellen Leuchttürme“, mit dem auf den Reichtum der Beitrittsländer hingewiesen werden könne. Ähnlich wie in Ostdeutschland sollten erhaltenswerte Kulturdenkmäler erfasst und in Förderprogramme aufgenommen werden.

Fördergelder und Touristenströme sind jedoch das eine, ein gemeinsames europäisches Bewusstsein das andere. Das schönste Bild hierfür fand der ungarische Kulturminister István Hiller: Er erzählte, wie er als Kind mit seinem Vater zur Grenze gefahren sei. „Wenn wir Soldaten begegnen, sag ihnen, wir gehen Hagebutten pflücken“, hatte der Vater ihm eingeschärft. Nun fahre er selbst mit seinem Sohn zu diesem Hagebuttenstrauch an der Grenze und erzähle ihm von damals. Der Sohn jedoch, nach 1989 geboren, versteht ihn nicht, kann mit dem Begriff „Eiserner Vorhang“ nichts anfangen und sich nicht vorstellen, dass man von Hagebutten lügen muss. „Er ist ein Ungar und ein Europäer: Er ist frei.“

Christina Tilmann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false