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Musikerin Alice Phoebe Lou, 22, am Tempelhofer Hafen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Porträt der Songwriterin Alice Phoebe Lou: Freiheitsliebe und ein dickes Fell

Alice Phoebe Lou ist Straßenmusikerin. Jetzt hat sie ihr Debütalbum "Orbit" herausgebracht und tritt in der Passionskirche auf. Eine Begegnung.

Das Gute an der Partymetropole Berlin ist ja, dass man in den warmen Monaten nicht viel Geld braucht, um einen aufregenden Abend zu erleben: Ein paar Getränke im Späti besorgen und sich auf die Admiralbrücke oder in den Görlitzer Park hocken, das reicht schon. Irgendwas ist immer los. „Die Berliner Straßen haben im Sommer etwas Elektrisches,“ sagt Alice Phoebe Lou. „Man kommt mit Leuten ins Gespräch und erlebt plötzlich ein Abenteuer mit ihnen.“

Für die 22-jährige Musikerin ist vor allem die Warschauer Straße ein magischer Ort. Wozu sie selber einiges beiträgt. Seit ein paar Jahren baut sie regelmäßig vor dem Eingang zur U-Bahnstation ihren kleinen Verstärker und ihren Mikrofonständer auf, stöpselt die Akustikgitarre ein und trägt Coverversionen und eigene Lieder vor.

Wenn es richtig gut läuft, scharen sich an einem Abend ein paar Dutzend Leute kreisförmig um die kleine blonde Frau aus Südafrika und hören aufmerksam zu. Wie bei einem kleinen Open-Air-Konzert.

In Paris kam sie auf die Idee, Feuertänzerin zu werden

Auf die Idee, ihr Geld auf der Straße zu verdienen, kam die Tochter von zwei Dokumentarfilmern als sie 16 war und ihre Sommerferien in Paris verbrachte. Dort freundete sie sich mit einigen Straßenkünstlern an, vor allem Tänzer und Feuertänzer. „Mich hat beeindruckt, wie glücklich diese Leute waren, im Gegensatz zu den ärgerlich dreinblickenden Parisern in ihren Anzügen“, erinnert sich Alice Phoebe Lou beim Gespräch.

Nach dem Schulabschluss in Kapstadt kam sie wieder nach Europa, reiste herum und lebte vom Feuertanzen. Am Hackeschen Markt in Berlin hat sie es dann erstmals mit Gitarre und Gesang probiert, zunächst noch ein bisschen unsicher, aber immerhin: Die fünf Euro, die sie sich erspielte, waren genug, um etwas zu Essen zu kaufen. Mittlerweile reicht es für deutlich mehr, und Alice Phoebe Lou betont: „Ich bin eine deutsche Steuerzahlerin.“

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Ein einfacher Job scheint das Straßenmusikerinnen-Dasein trotzdem nicht zu sein – zumal in der momentan etwas ruppiger werdenden Hauptstadt. Ob ihr das auch auffällt? „Ja, es scheint etwas mehr Kleinkriminalität und Schlägereien zu geben“, sagt die Musikerin. Sie sieht es als Folge der Gentrifizierung. Aber für jemanden, der in Südafrika groß geworden ist, sei das alles nicht Rede wert. „Ich habe mich hier noch die bedroht oder unsicher gefühlt.“

Als Straßenmusikerin brauche man einfach ein dickes Fell und müsse damit rechnen, dass man manchmal angepöbelt und geschubst werde oder jemand ins Mikro kreischt. In ihrer Erinnerung schiebt sie solche Zwischenfälle nach hinten und denkt nur an die schönen Dinge, die am selben Abend passiert sind.

"In Berlin passen die Leute aufeinander auf"

Dass sich die Neuköllnerin in der Stadt sicher fühlt, liegt auch daran, dass sie hier einen großen Gemeinschaftssinn verspürt. „Die Leute in Berlin passen wirklich aufeinander auf“, sagt Alice Phoebe Lou, die selber sofort losbrüllt, wenn sie sieht, dass jemand versucht, etwas zu stehlen oder eine andere Person belästigt. Auch musikalisch setzt die Singer-Songwriterin auf Gemeinschaft und Austausch. Sie ist gut vernetzt in der Szene, hat schon mit Jazz-Kollegen gespielt und in dem Multi-Instrumentalisten Matteo Pavesi einen wichtigen Mitstreiter gefunden. Er war bereits an ihrer „Momentum“-EP von 2014 beteiligt und hat nun zusammen mit Jian Kellett-Liew ihr kürzlich erschienenes Debütalbum „Orbit“ (Motor) produziert, das sie am heutigen Freitag mit Band in der Passionskirche live vorstellen wird.

Auf ihrem Album sind viele Gastmusiker zu hören

Aufgenommen hat Lou es in Südafrika und Berlin mit vielen befreundeten Musikern, was sich in den hübsch verspielten Arrangements niederschlägt. Wer die Südafrikanerin nur von ihren Straßenkonzerten kennt, wird überrascht sein, plötzlich Bläser, Kontrabässe, Klaviere, Glockenspiele, Schlagzeuge und verdoppelte Gesangsspuren zu hören. Sofort wiedererkennbar sind hingegen ihre klare, warme Stimme und ihr Fingerpicking. Manchmal erinnert sie ein wenig an Leslie Feist, dann wieder schlendert sie in folkige und jazzige Regionen. Die Songs der einstigen Waldorfschülerin folgen dabei keinen festen Patterns, sie haben meist nicht mal Refrains, was ihnen eine mäandernde Traumverlorenheit verleiht.

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„Ich habe automatisch so geschrieben, ich bin technischen gesehen nicht ausgebildet im Songschreiben“, sagt Alice Phoebe Lou, die als Kind Klavierunterricht nahm und sich als Teenager das Gitarrespielen selber beibrachte. „Wenn ich gesagt habe, was ich sagen wollte, ist das Lied zu Ende“, erklärt sie ihre Herangehensweise. Dass diese zierliche Person mit den wachen blauen Augen in der Tat einiges zu sagen hat, merkt man auch im Gespräch sehr schnell. Ihr Heimatland bezeichnet sie beispielsweise als „immer noch kolonisiert“. Dass die Mehrheit der weißen Mittelschicht-Kids politisch völlig desinteressiert ist, kann sie nicht nachvollziehen, zumal sie selbst das Geschehen am Kap aufmerksam verfolgt.

Mit großen Plattenfirmen will sie nichts zu tun haben

Noch leidenschaftlicher wird Alice Phoebe Lou, als es um die Musikindustrie geht. Major-Label legten ihren Künstlern häufig Handschellen an, sperrten sich gegen deren kreative Veränderung oder verhinderten die Veröffentlichung fertiger Alben. „Ich habe viele Musiker kennen gelernt, denen das so geht. Teilweise mussten sie ihre Namen ändern, um überhaupt etwas rausbringen zu können“, sagt Lou, die nicht darauf einging, als große Plattenfirmen Interesse an ihr zeigten. So hat sie „Orbit“ selbst herausgebracht und sich dafür Vertriebspartner gesucht. Sie beschäftigt zudem einen Manager und eine Bookingagentur. Unabhängig zu sein, heiße schließlich nicht desorganisiert zu sein.

Will man Alice Phoebe Lous politische Seite in ihrer Musik entdecken, muss man ein bisschen genauer hinhören. Etwa wenn man in „Walking In The Garden“ der Formulierung „less power and more control“ hinterherlauscht oder versucht, den Mann zu verstehen, der sich in „Society“ zu einem sanften Gitarren-Arpeggio in eine Klage gegen die gesellschaftliche Anpassung hineinsteigert. Seine Aussagen habe sie aus vielen verschiedenen Gesprächen destilliert, erklärt Lou, die immer auf der Suche nach der richtigen Balance zwischen Poesie und ihren Botschaften ist. Agitiert muss sich jedenfalls kein „Orbit“-Hörer fühlen, eher freundlich zum Mitdenken eingeladen.

Konzert: Passionskirche, 13.5., 20 Uhr

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