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Kultur: Freilichtspektakel: "Kaiserpfalz - eine Ottomanie" in Magdeburg

Wie ein Traumtänzer, das Ballettröckchen um die Hüften und die Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, so schwebt Magdeburgs Oberbürgermeister über die riesige, 70 mal 30 Meter große Bühnenschräge vor der Längsfront das Magdeburger Domes. Befragt von einem Reporter des "Time"-Magazins nach Attraktivität und Identität seiner Stadt, bringt er das vermeintlich so heile Mittelalter ins Spiel.

Wie ein Traumtänzer, das Ballettröckchen um die Hüften und die Prinz-Heinrich-Mütze auf dem Kopf, so schwebt Magdeburgs Oberbürgermeister über die riesige, 70 mal 30 Meter große Bühnenschräge vor der Längsfront das Magdeburger Domes. Befragt von einem Reporter des "Time"-Magazins nach Attraktivität und Identität seiner Stadt, bringt er das vermeintlich so heile Mittelalter ins Spiel. Denn mit der Gegenwart hat die Landeshauptstdat von Sachsen-Anhalt so ihre Probleme. Zurzeit des 962 in Rom zum Kaiser gekrönten Otto des Großen war Magdeburg eine europäische Metropole. Davon und von touristischer Anziehungskraft ist die Stadt heute weit entfernt. Doch Otto, der Magdeburg ein Kloster, einen Dom, eine Kaiserpfalz und durch seine englische Gattin Editha viele schöne Historien schenkte, soll es nun richten. "Glücklich war die Welt unter Ottos Herrschaft" steht auf seiner Grabplatte im Dom.

Während deshalb ein Heer von ABM Kräften auf der Bühne auf dem Domplatz nach der Kaiserpfalz Ottos gräbt (deren Reste bei Grabungen Ende der 60er Jahre entdeckt und wieder zugeschüttet wurden), schweben drei Stadträte auf Hebebühnen hoch über dem Geschehen und debattieren über Otto als Namens- und Imagegeber. Für ihr mittlerweile achtes Open-Air-Spektakel sind die Freien Kammerspiele Magdeburgs ins historische Zentrum der Stadt gezogen. 1500 Zuschauer haben Platz vor der Bühne auf dem geschichtsträchtigen Domplatz.

Der Dom bleibt für das Theaterspiel nur - wenn auch prächtige - Kulisse. Zuweilen angestrahlt, manchmal von innen erleuchtet - einmal stürzt auch jemand spektakulär am Seil vom Turm in die Tiefe. Doch der Ort wird nicht im Spiel neu erschlossen. Er bleibt Kulisse für eine Nummernrevue, die nicht chronologisch, sondern in Hin- und Hersprüngen durch Magdeburgs Geschichte führt. Da fährt die englische Königin im Rolls Royce vor und bringt Otto, historisch korrekt, zwei ihrer Töchter zur Gattinnenauswahl, da treten Pastoren und Bürgerrechtler der Wendezeit wie auch Politiker der Nachwendezeit auf. Letztere verbrennen munter ihre Akten aus der DDR-Zeit, sich dabei auf informelles und auf Kohlsches Persönlichkeits-Schutzrecht berufend. Nicht nur Otto von Guericke tritt auf mit seinen durchs Vakuum verbundenen Halbkugeln, sondern alle möglichen Ottos werden von den aus einem Domfries stammenden sieben törichten und klugen Jungfrauen, die zugleich als mythologische Elbnixen aus dem Untergrund steigen, ironisch beschworen. Otto der Große tritt dabei nie selbst auf. Dagegen präsentiert ein Modemacher zu Popmusik die obskursten Ottos: vom Ottomotor bis zum Ottoversand, von Risotto bis zum Lotto. Otto Normalverbraucher wird mit seinen frauen- und ausländerfeindlichen Sprüchen äußerst wirkungssicher durch zwei ABMClowns vor- und ausgestellt.

Dass es Ausländer in Magdeburg nicht leicht haben, zieht sich in mehreren Spielszenen durch diese Revue, bei der rund 160 Mitwirkende auftreten, Blasorchester und Jazztanzgruppen, Fanfarenzüge und Chöre. Sogar Feuerwehr- und Polizeiautos, Reiter und Radfahrer kommen auf die Szene, es wird Rockmusik gespielt und immer wieder werden mit vielen Darstellern große Bilder gebaut. Das läuft manchmal etwas zäh ab (Regie Wolf Bunge, Choreographie Fine Kwiatkowski), besitzt auch nicht immer den für ein solches Spektakel notwendigen Schauwert, doch vermittelt es in seinem kritischen Gang durch Magdeburger Geschichte spielerisch manchen Denkanstoß. So, wenn sich viele Menschen gleichzeitig auf Pisspötte setzen und dann Brechts Kinderhymne singen: ein Kommentar zur Meinung eines westdeutschen Wissenschaftlers, die autoritäre Kindergartenerziehung der DDR sei am heutigen Rechtsradikalismus in Ostdeutschland schuld. Spektakulärstes Schauelement sind riesige Diaprojektionen in Wassernebelwänden: zum Schlusslied von der versunkenen Stadt Atlantis taucht auf einer solchen Wasserwand auch die computersimulierte Kaiserpfalz als Traumbild auf.

Hartmut Krug

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