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Kultur: Fremd unter Brüdern

Mauer im Kopf: Die Ausstellung „Drüben“ im Bonner Haus der Geschichte erforscht deutsch-deutsche Zerrbilder

Wie zeigt man Beziehungen? Das Bonner Haus der Geschichte fragt nach dem Miteinander der Deutschen zwischen Trennung und Wiedervereinigung, nach der Mauer in den Köpfen der Ossis und Wessis (Westjargon), der Ostler und Westler (Ostjargon). „Deutsche Blickwinkel“ heißt es im Untertitel der Ausstellung „Drüben“. Was im aufwendigen Parcours zwischen Rigipswänden präsentiert wird, erinnert an das Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an den Jahrestagen der Wiedervereinigung, wenn die Sender Teilung, Jahre des Nebeneinanders und den Status quo dokumentieren.

Entsprechend werden im Entree Fotos präsentiert, ikonische Bilder deutscher Geschichte nach dem Mauerfall: der abmontierte Kopf von Tomskis Berliner Lenindenkmal, Eierwürfe auf den Bundeskanzler, Maskes Punch, Neo-Nazis, ein lachender Gottschalk, Lafontaine daheim auf dem Balkon, Klinsmanns Team und so fort. Daneben prangen skeptische Zitate, wie Heiner Müllers Satz „Die Vereinigung wird Deutschland spalten“.

Inmitten des Arrangements wuchert ein kahler Baum. Seine Äste bilden eine Krone aus Beton. Sinnbild für ein in grauer Tristesse missglücktes Vereinigungsprojekt? Der Frage wird nicht nachgegangen, so dass man den Fokus der Ausstellung bald aus dem Blick verliert. Allzu viele kleine Dokumente, Plakate, Alltagsgegenstände und Medienstationen skizzieren innerdeutsche Sozialgeschichte in historischer Abfolge. Wo sich die gerade erst Getrennten im Namen des kalten Krieges bespitzeln und doch gemeinsam den Sieg von Herbergers Team feiern, fehlt dann nur noch Guido Knopps Kommentar. Hier begegnen sich Ost-Datsche und West-Schrebergarten zum Vergleich, gefolgt von Dokumenten des deutsch-deutschen Grenzverkehrs, von Ostpropaganda und Westfernsehen.

Kuratorin Anne Martin hielt sich bei ihrem Konzept an die Didaktik der ständigen Ausstellung des einst von Helmut Kohl initiierten Museums, das wegen seiner unterstellten Nähe zur Denkungsart des Ex-Kanzlers oft kritisiert wurde. So scheint auch die aktuelle Ausstellung um den neuen nationalen Mythos bemüht. Ein altes DDR-Plakat, das auf die nationalsozialistische Vergangenheit diverser Bundestagsabgeordneter hinweist, wird als „Zerrbild“ diskreditiert – was zutreffen mag, dennoch deutet es auf seinerzeit im Westen verdrängte und ausgesparte Wahrheiten. Hier wäre ein Blick auf die Zerrbilder beider Seiten interessant gewesen – was die Schau nur selten riskiert.

Manchmal immerhin scheint das Phänomen der Entfremdung auf. Da ist zum Beispiel der über Touchscreen aufrufbare Ausschnitt einer „Panorama“-Sendung des NDR von 1967: Westdeutsche Probanden sollten gezeichnete Porträts den Begriffen „deutsch“ und „fremd“ zuordnen. Eine zweite Probanden-Runde wurde um die Auswahl „typisch ostdeutscher“ Typen gebeten. Sie tippten auf fast genau jene Bilder, welche von der ersten Gruppe als „fremd“ bewertet wurden. Analysiert werden die Medienbilder und ihre Wirkung gleichwohl nicht: Wie entsteht ein Bild des Fremden, und wie wird man sich fremd?

Dass der „Bruder“ innerhalb weniger Jahre zum „entfernten Verwandten“ mutierte, ahnte der Karikaturist Hanns Erich Köhler bereits 1949. Ab diesem Zeitpunkt hätte der Vergleich verschiedener kultureller Erfahrungen einsetzen können, wie es etwa in der TV-Sendung zum Thema Ost-West-Liebesbeziehungen in den neunziger Jahren geschieht, die in der Ausstellung zu sehen ist: Vorhaben, die allerdings einen kritischen Blick auf die eigene Position erfordern. Auch wenn die Schau im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig entwickelt wurde (wo sie ab Mai 2007 zu sehen sein wird), es dominiert die westdeutsche Blickrichtung: Der versprochene Perspektivwechsel findet nicht statt. Eher gleicht die Ausstellung einer umfangreichen Schulstunde. Sogar an einen Pausenhof in Form eines interaktiven Video-Fußballfelds wurde gedacht. Das liegt nahe, weil Schüler und Wehrdienstleistende das Haus der Geschichte bevölkern – ein Zielpublikum, dem die unmittelbare Erfahrung der deutschen Teilung fehlt.

Kurioserweise bezeichnet „Drüben“gerade wegen seiner Schwächen den aktuellen geistigen Zustand der Republik. Was zu DDR-Zeiten de facto ausgetauscht wurde, war Propaganda – ob explizit aus dem „Schwarzen Kanal“ oder subtiler über die Bilder von einem bunten Westen, welche nach Osten gewandte Sendemasten in die Vorstellungswelt der DDR funkten. Wo diese Bilder aus den Fenstern einer stilisierten Plattenbaukulisse flimmern, offenbart sich die wahre Struktur des „Drüben“ als Melange aus Sehnsüchten und Idealvorstellungen vom Leben des fremd gewordenen Nachbarn. Ihre Codes kreisen auch nach dem Rundgang im Kopf.

Die glücksverheißende Botschaft eines Versicherungs-Werbespots säuselte vor zwanzig Jahren beseelt von der „Allianz fürs Leben“. So enervierend die Verheißung nun durch die Ausstellung tönt, hat sie sich im nationalen Maßstab doch seltsamerweise verwirklicht. Wer sich die Zeit nimmt und den Anderen jenseits medialer Vermittlung kennenlernt, wird vielfältigere, wenngleich weniger eindeutige Einsichten gewinnen, als sie die Bonner Schau zu vermitteln vermag.

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, bis 4. April.

Oliver Tepel

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