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Kultur: French Connection

Tussis unter sich: „Jet Lag“ mit Juliette Binoche und Jean Reno

Dies ist eine romantische Liebeskomödie. Die Angst vor diesem Genre ist auch diesmal nicht grundlos, der Horror vor dem unerbittlichen guten Ende unvermeidlich. Warum sind schöne Schlüsse so schrecklich? Warum dauern sie in romantischen Komödien noch länger als sonst? Aber das Davor! Das wunderbare Juliette-Binoche-Davor!

Zwei Gründe, warum „Jet Lag“ (ohne Ende!) so gut ist. Der zweite ist, dass französische Komödien bei uns oft einen Eindruck der Ratlosigkeit hinterlassen. Wir haben ja verstanden, dass eine Nation, die so subtil kocht, auch ein Feld braucht, wo sie sich von der Subtilität wieder erholen kann. Das ist der französische Humor. Der Witz von „Jet Lag“ dagegen ist jedoch so allgemein verständlich wie sein Titel. Und dabei auf die Nuance abgeschmeckt wie die französische Küche, deren herausragender, obgleich etwas lebensmüder Vertreter im Film Jean Reno ist. Als Liebhaber ist er zwar schon etwas betagt. Dafür sieht man ihm aber den Überdruss (am Leben, am Kochen, an allem) an. Eine Pille zum Einschlafen, eine zum Aufwachen. Renos Augenringe sind grandios.

Der erste Grund, „Jetlag“ zu sehen, ist Juliette Binoche. Gewöhnlich trifft in romantischen Liebeskomödien ein weißer Schwan (männlich, etwas reicher) ein hässliches junges Entlein (weiblich, etwas ärmer). Und beide erkennen einander nicht, nur der Zuschauer weiß natürlich gleich, dass das Entlein in Wirklichkeit ein Schwan ist. Aber hier nicht. Dieses hässliche Entlein ist wirklich hässlich, und zwar ohne den mildernden Umstand der Jugend. Und ohne Aussicht auf Erlösung. Es ist von innen hässlich wie alle Tussen. Weil Tussen eben kein Innen haben.

Wie Juliette Binoche da ganz am Anfang am Flughafenschalter steht, fassungslos, dass ihr Flug nicht geht und die Züge auch nicht fahren. In keinem Land sind Streiks so glaubhaft wie in Frankreich. Nur diese Frau mit dem grotesken roten Haarturm auf dem Kopf und dem blauen Fransenmantel versteht das nicht. Normalerweise erweckt die Fassungslosigkeit einer Binoche Mitgefühl, hier nicht. Das ist das Schlimme, wenn man eine Tusse ist. Man tut keinem Leid.

Egal, was sie spielte, Juliette Binoche war immer zugleich ganz die Rolle und – Juliette Binoche. Die Fähigkeit zu solcher Doppelexistenz macht den Star. Man erkannte sie an ihrem Nach-Lächeln, an den wachträumenden Blicken. Nie hätten wir gedacht, dass sie diese Binoche-Weichheit ablegen kann. Und plötzlich ist alles an dieser Frau verkantet und schief. Jede Geste, jedes Lächeln, jedes Wort eine herrliche Nuance daneben. Wie sie sich mitten im Satz unterbricht, wenn ihre Worte an Renos verwitterter Gesichtsfassade abprallen - eine Frau, getrieben von der Angst, alles falsch zu machen. Nichts ist so begründet wie diese Angst. Jetzt flieht sie vor ihrem gewalttätigen Freund in einen drittklassigen Kosmetikerinnen-Ferienclub-Job nach Lateinamerika. Es könnte die erste richtige Entscheidung ihres Lebens sein.

Regisseurin Danièle Tompson und ihrem drehbuchschreibenden Sohn gebührt das Verdienst, ein schon zu Tode gedrehtes Genre zu neuem Leben erweckt zu haben. Die gemeinsame Hotelnacht der bestreikten Fluggäste Binoche und Reno ist so weit weg von jedem Klischee, als wäre die Konstellation Sie-und-er-allein-im-Zimmer eben erst entdeckt worden. Jetzt muss man bloß noch aufpassen, rechtzeitig vor Schluss zu gehen. Also ungefähr dann, wenn die Kosmetikerin doch losfliegt zu ihrem Billigjob nach Lateinamerika.

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