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Kultur: Freude, Frost und Früchte

Opulent: „Barock aus Antwerpen“ im Hamburger Bucerius-Forum

Star im Hamburger Bucerius Kunst Forum ist in diesen Tagen eine dralle, nackte Blondine. Trotz der Sommerhitze fröstelt das adipöse Glamour-Girl: Beine und Rücken sind schon bläulich angelaufen, und statt im Abendsonnenschimmer verführerisch zu posieren, kauert die von Peter Paul Rubens gemalte „Frierende Venus“ missvergnügt in Embryo-Haltung am Boden. Dem kleinen Cupido zu ihren Füßen gönnt sie keinen Blick, auch nicht dem lüsternen Satyr seitwärts, der ihr ein Füllhorn mit Trauben und Ähren hinhält.

Der großformatige Rückenakt illustriert den lebensnahen Spruch des römischen Dichters Terenz: „Ohne Ceres und Bacchus friert Venus“, also ohne Essen und Trinken verkümmere auch die Liebe. Mit moderner Physiologie ergänzte Rubens die publikumswirksame Darstellung von nackter Weiblichkeit und voyeuristischem männlichen Begehren. Das 1614 entstandene Gemälde zeigt beispielhaft, wie der in Italien an Tizian und Veronese geschulte Maler mit Pathos und Realitätssinn die flämische Barockmalerei revolutionierte.

Unter dem Titel „Rubens, van Dyck, Jordaens – Barock aus Antwerpen“ sind jetzt am Hamburger Rathausmarkt rund 50 prächtige Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken des 17. Jahrhunderts aus dem Handelszentrum an der Schelde zu sehen. Die meisten Leihgaben des im Umbau befindlichen Museums der Schönen Künste waren zuvor nie gereist. Im Mittelpunkt der Schau steht Rubens als treibende künstlerische Kraft. In seiner Werkstatt starteten Anthonis van Dyck und Jakob Jordaens ihre Karrieren. Mit und neben ihnen arbeiteten zahlreiche andere Künstler, die zusammen als „Antwerpener Schule“ bekannt wurden.

Obwohl die reiche flämische Metropole nach 1600 weitgehend ihre wirtschaftliche Potenz verlor und der Krieg zwischen den von Spanien beherrschten katholischen Südprovinzen der Niederlande und dem protestantischen Norden tobte, entfaltete sich der europäische Barock hier besonders glanzvoll und prächtig. Der Kunstmarkt boomte, denn die Kirchen hatten großen Bedarf, nachdem der Bildersturm sie ihrer Gemälde beraubt hatte. Auch das Repräsentationsbedürfnis des Adels und des arrivierten Bürgertums steigerte die Nachfrage.

„Kunst in der Krise“ nennt BKF-Chefin Ortrud Westheider die bis September in ihrem Haus versammelte flämische Malerei aus den Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, der in den Niederlanden sogar acht Jahrzehnte (1566–1648) dauerte. Von militärischen Konflikten und wirtschaftlicher Not ist auf den gezeigten Bildern nichts zu spüren. Stattdessen wird in sechs Kapiteln ein Feuerwerk von Farben, Formen und Figuren geboten und an zartgrünen Wänden das ganze Spektrum Antwerpener Barock-Motive ausgebreitet – antike Mythologie neben Altartafeln der Gegenreformation, Porträts von Aristokratie und Bürgertum, Genrebilder, Stillleben, Landschaften und Stadtansichten.

Wer sich mit barocker Üppigkeit und prallem Fleisch schwertut, hat nicht nur in der begleitenden Vortragsreihe die Chance auf einen „anderen Blick“. Viel Anmut, Charme und einen Unterton leichter Ironie entfaltet beispielsweise ein gemeinschaftlich gemaltes Kinderporträt von Erasmus Quellinus d. J. und Jan Fyt, das einen pausbäckigen kleinen Jungen nach höfischem Vorbild mit Damastmäntelchen, einem Jagdfalken und zwei edlen Hunden zum Prinzen stilisiert.

Amüsant ist auch die Kombination von fantasievoller Exotik und der Allegorie auf den politischen Unterschleif im vielstimmigen, bunten „Vogelkonzert“, das von Jan van Kessel dem Älteren oder von Paul de Vos stammt. Ebenso sehenswert das tiefgründige Blumenbukett von Jan Brueghel dem Ältern und die appetitliche Ikonografie der Küchenstücke und Früchte-Stillleben von Frans Snyders.

Nicht minder beeindruckend die topografische Präzision des Eisvergnügens auf der Schelde von Jan I. Peeters. Das frostige Gemälde mit Schlittschuhläufern und Pferdekutschen entstand im Winter 1670, als bittere Kälte den Fluss komplett zufrieren ließ.

„Rubens, van Dyck, Jordaens – Barock aus Antwerpen“. Bucerius Kunstforum Hamburg. Bis 19. September. Katalog,

Hirmer Verlag, 24,80 € in der Ausstellung, 34,80 € im Buchhandel, Info: www.buceriuskunstforum.de

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