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Kultur: Freundlich brutal

Liv Mette Larsen in der Berliner Galerie Hilgemann

Vor 30 Jahren zog es die gebürtige Norwegerin Liv Mette Larsen nach Berlin. „Wahlberliner“, das klingt nach unbedingter Liebe, nach affirmativer Überhöhung, insbesondere, wenn die Stadt als Sujet im Titel ihrer Ausstellung bei Kai Hilgemann erscheint: „Berliner Vertikale“. Gleichwohl durchschneidet die Lotrechte im Titel jede Assoziation von Überschwang. Den Blick zu heben und senken bezeichnet stets die Herausforderung der ungewohnten Perspektive, denn trotz des aufrechten Gangs bleibt der menschlichen Wahrnehmung die horizontale Achse vertrauter.

Dabei sind es menschliche Figuren, die in Larsens aktuellen Bildern den Raum dominieren. Gestreckte, monochrome Umrissgestalten: nichts Gespenstisches, kein Schattenriss, selbst da nicht, wo dunkles Violett oder Braun die Form füllt. Eher erinnern sie an distinguierte Verwandte von Matisses Scherenschnittfiguren oder an jene Gestalten, denen Le Corbusier seine Entwürfe auf den Leib schneiderte. Ohne Überschwang erscheinen sie fast romantisiert im Bildraum, der neben seiner Figur nur ein weiteres Bildelement enthält: einen grafisch stark reduzierten Ausschnitt Berlins.

Ein Eckchen Stadt in klaren, gleichwohl nicht strengen Linien. Das Sanfte wie Satte der Eitemperafarben bestimmt den Eindruck und droht mit angenehm flacher Gefälligkeit. Genau hier beginnt das Besondere dieser Malerei. Es ist jene Flachheit, die Matisse oder Cocteau einst in bewusster Nähe zur Art Décoratif gestalteten. Nur dass die Linien hier skandinavische Ästhetik und urbane Impressionen transportieren. Manche Figuren sind dem zweiten Bildelement zugewandt, andere drehen sich ostentativ weg. Eine Absage an Kohärenz, die sich in Larsens kleinen Bildern fortsetzt: monochrome Farbfelder und weitere Architekturdetails.

In Gestaltung und Anordnung erinnern sie an alternative Dekormuster in einem Katalog. Hier verlässt die angenehme Freundlichkeit das Werk. Fern großer Gesten löst Larsen ihre Malerei auf, konfrontiert sie hart und fast schon brutal mit den Bildern oberflächlicher Design-Illustration. Dass die Künstlerin dieses Aufeinandertreffen für sich entscheidet, gründet in der Qualität ihrer Werke. Dennoch brauchen sie die provozierende Assoziation, um zu bestehen. Ihre Schutzlosigkeit ist ein erstaunlicher Kommentar zur allzu leichten aktuellen Malerei. Sie verweigert sich dem leeren Klassizismus heutiger Topseller, weil sie romantische Auflösung nicht mit stylischem Minimalismus verwechseln. Larsens Bilder machen sich angreifbar, trotz ihres scheinbar unverfänglichen Sujets. Man muss mit ihnen klarkommen, genau wie mit der Stadt selbst – das ist das menschliche Maß dieser Bilder. Oliver Tepel

Galerie Kai Hilgemann, Zimmerstr. 90/91, bis 23.6., Die. bis Sbd. 11–18 Uhr.

Oliver Tepel

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