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Margaret Atwood 2014 in ihrer Heimatstadt Toronto

© imago/ZUMA Press

Friedenspreis für Margaret Atwood: Die Hellhörige

Tüchtige Humanistin und Feministin: Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood bekommt dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

Als sich dieses Jahr nach der Amtsübernahme von Donald Trump hunderttausende Demonstrantinnen zum sogenannten Woman’s March formierten, waren dort Schilder zu sehen, auf denen stand „Make Margaret Atwood Fiction Again“, „The Handmaid’s Tale is not an instruction manual“ oder „No to the republic of Gilead“. Margaret Atwoods Roman „The Handmaid’s Tale“, der auf Deutsch „Der Report der Magd“ heißt, ist eine Dystopie, die davon erzählt, wie nach einer Reihe von nuklearen Katastrophen eine christlich-fundamentalistische Gruppierung die Macht in den USA ergreift und die Republik Gilead gründet. Die Frauen haben in dieser Republik keine Rechte mehr; ihre Bestimmung liegt einzig und allein in der Fortpflanzung.

1985 veröffentlicht und ein paar Jahre später von Volker Schlöndorff verfilmt, lässt sich in Atwoods Roman manche Parallele zu den USA von Donald Trump erkennen, weshalb die kanadische Schriftstellerin zu einer der Ikonen der Woman’s March- und Anti-Trump-Bewegung wurde. Dazu passt, dass kürzlich auch das US-Fernsehen „The Handmaid’s Tale“ adaptiert und die Serie sich zu einer der erfolgreichsten und meistdiskutierten entwickelt hat.

Insofern ist es eine vernünftige und nach den vorherigen Wahlen von Carolin Emcke (2016), Navid Kermani (2015) und Svetlana Alexijewitsch (2014) fast wohlfeile Entscheidung, Margaret Atwood in diesem Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu verleihen. In der Begründung des Stiftungsrats heißt es, Atwood weise in ihrem gesamten Werk „immer wieder ihr politisches Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen“ nach: „Als eine der bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit stellt sie die sich wandelnden Denk- und Verhaltensweisen ins Zentrum ihres Schaffens und lotet sie in ihren utopischen wie dystopischen Werken furchtlos aus. Indem sie menschliche Widersprüchlichkeiten genau beobachtet, zeigt sie, wie leicht vermeintliche Normalität ins Unmenschliche kippen kann.“

Atwood hat viele Themen: Finanzkrise, Klimakatastrophe, Feminismus

Atwood, die 1939 in Ottawa als Tochter eines Insektenforschers geboren wurde und heute in Toronto lebt, debütierte 1969 nach mehreren Gedichtbänden mit dem surreal-feministischen Roman „Die essbare Frau“. In Folge schrieb sie mit „Der lange Traum“ oder „Die Unmöglichkeit von Nähe“ weitere Romane zumeist mit mittelalten Heldinnen, die sich gegen die ihnen zugeschriebenen Rollen erfolgreich wehren und diese Weigerung zugleich mit einem komplizierten Innenleben abzugleichen versuchen.

Sie sei im „Zeitalter der Tüchtigkeit“ aufgewachsen, hat Atwood in ihrem autobiografischen Roman „Moralische Unordnung“ geschrieben. Tüchtig und solide, aber nicht unbedingt brillant, das ist das umfangreiche, aus über sechzig Büchern bestehende Werk von Atwood – und tüchtig ist die neben Alice Munro bedeutendste Schriftstellerin Kanadas auch in ihrer Themenwahl.

Da finden sich neben den feministischen Büchern Erzählungen über das kleine, stille Glück, neben Kinder- und Jugendromanen auch Comics, zudem noch weitere dystopische, gleichermaßen eine mögliche Klimakatastrophe wie gefährliche radikale gesellschaftliche Strömungen ins Visier nehmende Romane wie „Oryx und Crake“, „Das Jahr der Flut“ und „Die Geschichte von Zeb“, ihre sogenannte Endzeittrilogie. Und selbst mit der Finanzkrise hat Atwood sich in einem literarischen Essay auseinandergesetzt, „Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands“. Zuletzt erschienen von ihr auf Deutsch gleich zwei Bücher, „Hexenssaat“, ihre Romanvariation von Shakespeares „Sturm“, sowie der dystopische Thriller „Das Herz kommt zuletzt“.

Niemand könne ihr vorschreiben, was sie literarisch zu tun und zu lassen habe, hat sie dem „New Yorker“ gesagt, und selbst der unheilvollen Trump-Ära weiß sie zumindest etwas Positives abzugewinnen, so Atwood in einem Interview mit dem Tagesspiegel: „Die Wahl hat viele Menschen wachgerüttelt, die vorher unpolitisch waren. Jetzt merken sie, dass sie etwas zu verlieren haben.“ Nein, besonders spektakulär ist sie nicht, diese Entscheidung für Margaret Atwood; eine würdige Friedenspreisträgerin ist sie allemal.

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