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Neuer Glanz. August Wilhelm Ifflands Grab in Kreuzberg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Friedhofsrundgang: Es geht an die Ehre

Viele Gräber von Berühmten werden auf private Initiative renoviert – ein Friedhofsrundgang in Berlin zum Totensonntag.

Lapidarer kann man einen Toten nicht verabschieden. „Iffland starb 1814“ steht in vergoldeten Buchstaben auf der Steinplatte. Sonst nichts. Die Inschrift bezeichnet das Grab des Schauspielers, Dramatikers, Regisseurs und Theaterintendanten August Wilhelm Iffland auf dem Friedhof II der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde am Kreuzberger Mehringdamm. Noch vor einem Jahr war das Ehrengrab des Landes Berlin in beklagenswertem Zustand. Das eiserne Gitter: rostig und zerbrochen. Die Backsteinmauer zur Baruther Straße: feucht und versalzen. Der Boden: von Baumwurzeln zerfurcht. Doch am 22. September, Ifflands Todestag, konnte die restaurierte Grabstelle – und das benachbarte, quasi nebenbei wiederhergestellte Grab der Sängerin und Schauspielerin Friederike Bethmann-Unzelmann – von Kulturstaatssekretär André Schmitz präsentiert werden.

Ifflands späte Ehrenrettung verdankt sich dem Bürgersinn. Rund 21 000 von 35 000 Euro, die zur Restaurierung nötig waren, trug der Berliner Schauspieler Hans-Jürgen Schatz zusammen. Unter dem Motto „Schatz und Freunde“ organisierte der Schauspieler zwei Rezitations- Musikabende mit Musikerkollegen wie dem Oboisten Christoph Hartmann als Benefizveranstaltungen für Iffland.

Schatz, der im Kuratorium des Vereins „Denk mal an Berlin“ sitzt und sich selbst als „überzeugten Wiederholungstäter" sieht, ist kein Einzelfall. Ehrenamtliche Aktivisten verschiedenster Couleur engagieren sich für Berlins großartige Friedhofslandschaft. Vereine wie die bereits 1982 gegründete Arbeitsgemeinschaft für die historischen Friedhöfe und Kirchhöfe Berlins, honorige Stiftungen und gut vernetzte Einzelkämpfer kümmern sich, weil die zuständigen Verwaltungen den Verfall nicht stoppen können. In Zeiten, wo sich „digitale Friedhöfe“ im Internet etablieren und in der Realwelt Anonymbestattungen boomen wie nie zuvor, kommt es zur Gegenbewegung: Bürger entdecken historische bürgerliche Gedenkkultur. Friedhöfe bilden – wie Museen, Archive, Bibliotheken – das kulturelle Gedächtnis einer Stadt.

Die Frage nach dem Warum beantwortet Hans-Jürgen Schatz biografisch. Schon als Kind half der in der Urbanstraße Aufgewachsene Mutter und Großmutter bei der Grabpflege. Vor fünf Jahren hat er seinen Vater an der Bergmannstraße begraben. Dort, auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof II, fiel ihm das verwahrloste Grab des Theologen und Mitbegründers der Humboldt-Universität Friedrich Daniel Schleiermacher auf. Es wurde 2009 auf Initiative von Schatz restauriert. Der begnadete Netzwerker gewann den damaligen Landesbischof Wolfgang Huber und Ex-Humboldt-Präsident Christoph Markschies als Verbündete.

Derzeit plant Schatz eine Benefizveranstaltung über Charlotte von Kalb, Muse und Freundin von Schiller, Hölderlin, Jean Paul. Ihre restaurierungsbedürftige Ruhestätte ist nur wenige Schritte vom Schleiermacher-Grab entfernt. In Sichtweite liegen Ludwig Tieck und Gert Mattenklott.

Schatz schätzt Grabdenkmäler als Geschichte zum Anfassen. Bei deren Restaurierung jedoch mischt er sich nicht ein, vertraut Spezialisten wie dem ebenfalls ehrenamtlich tätigen Architekten Friedrich von Waldthausen oder Klaus von Krosigk, Berlins leitendem Gartendenkmalpfleger. Die finanzielle Seite wird über die Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg abgewickelt. Sie wurde 1989 gegründet und verwaltet neben privaten Spenden auch Zuwendungen des Bundes oder der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Da die Bezirksämter mit 800 Ehrengräbern und erst recht mit vielen tausend weiteren interessanten historischen Grabanlagen völlig überfordert sind, ist jede Initiative willkommen. Für die 1992 in Neuruppin gegründete Karl-Friedrich-Schinkel-Gesellschaft, machen ihr Vorsitzender Peter Möbius und der Beiratsvorsitzende Diether Kinzel klar, ist es eine Ehrensache, sich um das Grab des Baumeisters zu kümmern. Jährlich am Todestag trifft man sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, vis-à-vis der Stele für Heiner Müller. Im Oktober 2008 entstand am Grab die Idee, für dessen Restaurierung zu sammeln. Kinzel, auch er Architekt, hat zudem in Archiven recherchiert – und stieß dabei auf sensationell Unbekanntes wie den Entwurf für das Schinkelgrab, gezeichnet vom Mitarbeiter Gustav Stier im Jahr nach Schinkels Tod.

Nach intensiven Diskussionen mit dem Landesdenkmalamt ist man sich vor wenigen Tagen einig geworden. Neben der Restaurierung der Stele und des maroden gusseisernen Umfassungsgitters wird künftig ein moderner Liegestein an Schinkels Frau Susanne und zwei Töchter erinnern.

Ein klassisches Familiengrab erinnert auf dem in dichtes Fichtengrün gebetteten Parkfriedhof Lichterfelde an Berlins ersten Nachkriegs-Oberbürgermeister Arthur Werner. Der parteilose Baufachmann wurde vom sowjetischen Stadtkommandanten am 17. Mai 1945 ernannt und blieb bis Oktober 1946 im Amt. Persönlich entwarf der weitgehend machtlose OB das säulengeschmückte Erbbegräbnis aus Muschelkalk, in dem neben ihm – Werner starb 1967 – drei Söhne liegen.

Bis zum Abschluss der Wiederherstellung im Oktober bot das Ehrengrab keinen ehrenden Anblick. Das hat sich dank Wolfgang Holtz nun geändert. Der pensionierte Leiter des Heimatmuseums Steglitz ist ein regionalforscherisches Urgestein. Seit Jahrzehnten begeistert Holtz bei Friedhofsführungen, veröffentlicht Bücher wie demnächst das über den Steglitzer Friedhof Bergstraße und erweist sich im persönlichen Gespräch als wandelndes Berlin-Lexikon. Mit seiner Frau Wilma engagiert er sich für bedeutende Gräber, so zum 100. Todestag vor zwei Jahren für das des Malers Walter Leistikow. Das Geld dafür sammelt er auf seinen Friedhofsführungen. Als „Honorar“ für eine Führung finanzierte die Arbeitsgemeinschaft für die historischen Friedhöfe und Kirchhöfe Berlins Holtz auch die Arbeiten an Arthur Werners Grab. Die Platte wurde gereinigt, Wildwuchs gezähmt, bildhauerischer Schmuck wieder freigelegt: für überschaubare 1275 Euro.

Holtz ist zugleich Realist und Enthusiast. Bei den Friedhofsverwaltungen geht er ein und aus. Augenzwinkernd berichtet er von einen Aktenvermerk, der entstand, als er sich für ein Grab einsetzte, das eigentlich schon beseitigt werden sollte: „Bitte nicht abräumen, solange Wolfgang Holtz lebt.“

Die Beschäftigung, ja Identifikation mit denkwürdigen Toten, die man nicht persönlich kannte, mag fern und abstrakt erscheinen. Dass Friedhöfe Speicher kollektiver Erinnerung und zugleich Sehenswürdigkeiten sind, begreift jedoch jeder, der schon einmal den Pariser Père Lachaise oder die Nekropolis im schottischen Glasgow besucht hat. Diese Totenstätte leben, weil sie unsere Imagination beflügeln. Auch die großen alten Berliner Friedhöfe erzählen solche Geschichten. Manchmal mit nur drei Worten.

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