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Beobachter, Deuter, luzider Kritiker: Der Berliner Publizist Friedrich Dieckmann.

© Imago/gezett

Friedrich Dieckmann zum 80.: Der Spurenleser

Gerade hat er ein Luther-Buch verfasst, hat schreibend und intervenierend vor allem die Wiedervereinigung kritisch begleitet: Diesen Donnerstag feiert der Essayist und öffentliche Intellektuelle Friedrich Dieckmann seinen 80. Geburtstag.

Eben erst hat Friedrich Dieckmann sein neuestes Buch veröffentlicht, ein Luther-Buch, was im diesem Reformationsjahr nicht übermäßig originell sein mag. Aber dafür ist es das Buch selbst. Der Titel „Luther im Spiegel“ meint die Spuren, die der Reformator in der deutschen Kultur- und Geistesgeschichte hinterlassen hat. Es ist, obwohl eher eine Gelegenheitsarbeit, alles andere als ein Potpourri. Dieckmann vergegenwärtigt den Reformator, das „Luther-Problem“ als fortwirkende Herausforderung in der Literatur- und Kulturgeschichte der Deutschen - einschließlich Pointen wie die, dass Heinrich Heine „der entschiedene Lutheraner der deutschen Literatur“ gewesen sei. Das ist, bei diesem Thema, eine ungewöhnliche Perspektive, an der man den Autor erkennt.

Dieckmann ist in der deutschen Publizistik eine außerordentliche Gestalten. Was schon die Fülle und die Spannweite seiner Hervorbringungen anzeigt, die das Feld der Kultur nach allen Richtungen durchpflügen. Er bewegt sich souverän in der klassischen deutschen Geisteswelt, wovon zum Beispiel zwei glänzend geschriebene Schiller-Biografien Zeugnis ablegen. Er ist ein  brillanter Musikschriftsteller, der über Mozart, Schubert und immer wieder über Wagner geschrieben hat. Die städtebaulichen Wiederherstellung Berlins hat er mit zahlreichen Aufsätzen, Kommentaren und Zwischenrufen begleitet, die dem schwierigen Unterfangen instruktive Lichter aufsetzten, als Mitglied der Expertenkommission Berliner Mitte wirkte er selbst daran mit. Gar nicht zu zählen die Fülle der Interventionen, die ihn zu einer unverwechselbaren Stimme im Kulturleben gemacht haben.

Ein öffentlicher Intellektueller, der Wende und Umbruch kritische begleitete

Aber vor allem wirkt Dieckmann durch die Rolle des öffentlichen Intellektuellen, die ihm im Prozess des deutsch-deutschen Zusammenwachsens zukam. Der große Vorgang der Nachwende-Zeit hat in ihm, der das erste Halbjahrhundert seines Lebens auf der östlichen Seite des Landes zubrachte, einen aufmerksamen Deuter und  luziden Kritiker gefunden. Aus den Dutzenden von Essays, mit denen er vor allem in den ersten Jahren der deutschen Vereinigung Aufsehen erregte, ergibt sich eine innere Geschichte dieses Umbruchs, wahrgenommen aus der Sicht eines  Intellektuellen und Autors, der zwar keineswegs ein ausdrücklicher Parteigänger des DDR-Sozialismus war, aber der Lebens- und Überlebensweise, die sich im anderen Deutschland herausgebildet hatte, bei aller Kritik mit Sympathie verbunden war.

Im Kern arbeitet sich Dieckmann daran ab, für die DDR als einem Teil der deutschen Geschichte einen Platz im neuen, größeren Deutschland zu finden. Er klagt für diese 40g Jahre, in denen sie der Lebensraum für 16 Millionen war, einen Anteil am deutschen Ganzen ein. Er ficht für seine Überzeugung, dass sie in ihrer Weise mitgewirkt habe am Gang der deutschen Dinge. Und diagnostiziert, ein Mann spekulativer Fantasie, für die DDR durchaus eine historische Funktion in der europäischen Machtbalance. Vor allem aber zählt für ihn das, was er einmal das „inwendige Kulturleben“ der DDR genannt hat - die Rolle von Kunst und Kultur für das Innenleben ihrer Gesellschaft, in Literatur, Theater und Ateliers, und damit die Kraft der Selbstbehauptung, die den Keim zum Wandel auch gegen die verhärteten staatlichen Strukturen der DDR lebendig hielt. 

Ohne Scheu macht er auch ein beargwöhnte Größe wie die Nation zum Thema

Das Bild der Nachkriegszeit, das sich daraus ergibt, mutet gelegentlich etwas befremdlich an, es frischt alte deutschlandpolitische Rechnungen auf, und das heutige Deutschland, das „vereinigte, aber höchst uneinheitliche Land“ muss sich  -  bei allen Kränzen, die Dieckmann der Wiedervereinigung gewunden hat - immer wieder herb die Leviten lesen lassen. Andererseits gibt es kaum einen anderen Autor, der ohne Scheu auch eine gerade unter Intellektuellen beargwöhnte  Größe wie die Nation zum Thema machen kann.

Das Cover zu Friedrich Dieckmanns Buch "Luther im Spiegel. Von Lessing bis Thomas Mann", erschienen im Quintus-Verlag
Das Cover zu Friedrich Dieckmanns Buch "Luther im Spiegel. Von Lessing bis Thomas Mann", erschienen im Quintus-Verlag

© Quintus-Verlag

Wo es bei der Mehrheit  der Debattierenden bestenfalls zur Polemik gegen die Leitkultur reicht, stellt er sich den deutschen  Tiefen und Untiefen, bis in die Wortwahl hinein. Den Essay-Band „Vom Einbringen“, der sich mit den Wiedervereinigungs-Problemen auseinandersetzte, nannte er im Untertitel „Vaterländische Beiträge“. Einen anderen Titel, der die Frage „Was ist deutsch?“ aufwirft, deklariert er als eine „Nationalerkundung“. Darin schwingt nicht nur Ironie mit und Dieckmanns Neigung zum Spiel mit altmeisterlichen Wendungen. „Kulturnation und Nationalkultur“, um einen neueren Titel zu nennen, sind für ihn ernsthafte Sujets, „alte und neue Herausforderungen“, wie es im Untertitel des Essaybandes heißt.

Übrigens , der der öffentliche Intellektuelle und produktive Autor, der Dieckmann heute ist, ist ein Gewinn der Wende. Mit ihr trat der ostdeutsche Kulturschriftsteller, der vor allem über Theater schrieb, in die gesamtdeutsche Öffentlichkeit, pendelnd - wie er sich erinnert - zwischen dem Wohnsitz in Treptow und dem Wissenschaftskolleg im Grunewald, das ihn als Fellow eingeladen hatte.

Dieckmann strebt leidenschaftlich nach Eigenständigkeit, seine Produktivität ist staunenswert

Dahinter steht eine Biografie, in der sich die Nachkriegsgeschichte mit ihren Wendungen und Windungen niedergeschlagen hat. Dazu gehört der Vater, Präsident der DDR-Volkskammer, Pfarrerssohn aus Fischerhude, national, liberal und musisch, in der Nachkriegsumbrüchen zum hohen, wenngleich wohl eher einflussarmen Repräsentanten des Systems geworden. Dazu gehört die Parallelwelt des Ostberliner Kulturmilieus und die Wanderung entlang an den  Klippen der Kulturpolitik, bei dem zeitweise auch das Auge der Stasi auf ihn fiel. Dazu gehört, vor allem, ein leidenschaftliches Streben nach Eigenständigkeit, eine staunenswerte Produktivität, eine virtuose Formulierungsgabe: Bis auf vier Jahre als Dramaturg beim Berliner Ensemble hat Dieckmann ein Leben lang die mühsame Existenz eines freien Autors geführt. - An diesem Donnerstag feiert Friedrich Dieckmann seinen 80. Geburtstag. 

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