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Kultur: Friedrich, ick bau auf dir

Kleine Bitten an den großen König: Adolph Menzels „Bittschrift“ in der Alten Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel

Von Michael Zajonz

Wer je einen Brief an ein Staatsoberhaupt geschrieben hat, kennt die sanfte Enttäuschung, wenn Wochen später das Antwortschreiben eines stellvertretenden Abteilungsleiters eintrifft. Es soll Zeiten gegeben haben, in denen der Zugang zur Macht direkter und erfolgreicher verlief. Der gute Herrscher empfängt Bittschriften, hört auf die Sorgen seines Volkes und lindert dessen Not; so oder ähnlich lauten die Titel populärer Druckgrafiken, die über Jahrhunderte die Legende von der emotionalen Erreichbarkeit gekrönter Häupter unters Volk brachten.

Weniger Bürokratie, mehr Partizipation und direkte Kontrolle der Monarchie durch eine konstitutive Verfassung, ohne auf die volkstümliche Gestalt an der Spitze verzichten zu müssen - davon träumten noch die preußischen Liberalen des Vormärz, jener politisch bleiernen Zeit zwischen der Pariser Julirevolte von 1830 und der Revolution von 1848/49. Es war nicht zuletzt der Enttäuschung über den eigenen Herrscher - den reaktionär-schwärmerischen Friedrich Wilhelm IV. - geschuldet, wenn man sich in Berliner Salons Friedrich den Großen zur Lichtgestalt modellierte. Der politisch sinnstiftenden Retrospektive auf den Monarchen des 18. Jahrhunderts ein Gesicht gegeben zu haben, ist das Verdienst eines Mannes: Adolph Menzel. Neben den Holzstichen zu Franz Kuglers „Geschichte Friedrichs des Großen“ ist es vor allem das knappe Dutzend der Friedrich-Gemälde Menzels, das das Bild des Königs geprägt hat. Die Berliner Nationalgalerie besitzt trotz gravierender Kriegsverluste mit dem „Flötenkonzert“, der „Begegnung mit Joseph II. in Neiße“ und der noch als Fragment fulminanten „Ansprache an die Generale vor der Schlacht bei Leuthen“ Inkunabeln der Serie.

Wer dachte, nach der großen Menzel-Retrospektive von 1997 sei alles gesagt, hat die Rechnung ohne Claude Keisch gemacht. Der Kustos der Nationalgalerie kann in einer exquisiten Kabinettausstellung zwei Schlüsselwerke aus Privatbesitz präsentieren, die seit Jahrzehnten nicht in Berlin zu sehen waren: „Die Bittschrift“, das 1849 entstandene früheste der Friedrich-Bilder, sowie das intime „Selbstbildnis mit den Geschwistern".

Menzel konzentriert in der „Bittschrift“ – darin ganz Kind der Aufklärung – seine psychologische Aufmerksamkeit auf das Bauernpaar, das sich im Bildvordergrund einen subtilen Kampf um die Übergabe des Schriftsatzes liefert. Der Betrachter bangt um den noch ausstehenden entscheidenden Schritt des zögerlichen Mannes, der den herangaloppierenden Friedrich zum Gnadenakt zwingen muss. Was uns heute „realistisch“ erscheint, geriet seinerzeit zum Politikum. Das Königshaus, dem Menzel das mittelformatige Bild zum Kauf anbot, wollte die beiläufig private Darstellung des Ahnherrn im Bildmittelgrund keinesfalls akzeptieren.

Der Friedrich-Zyklus sollte ein singulärer Fall von Realitätssinn in der deutschen Historienmalerei bleiben. Wie stark sich der Künstler mit der Rolle des Chronisten identifiziert, zeigt Keisch anhand des Selbstbildnisses: Menzel paraphrasiert hier ein 1718 entstandenes Familienbild des preußischen Hofmalers Antoine Pesne. Eine Entdeckung, die für Generaldirektor Peter-Klaus Schuster „die weiterhin gelehrte Seite des Museums“ repräsentiert. Eine Freude, so möchte man hinzufügen, für Besucher, Leihgeber und künftige Mäzene.

Alte Nationalgalerie, Museumsinsel, bis 10. November, Di-So 10-18 Uhr, Do bis 22 Uhr. Das Katalog-Heft (Dumont) kostet im Museum 8 Euro.

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