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Kultur: Friendly Fire

Eine Zwischenbilanz der transatlantischen Allianz

Drei Fragen: Ist die deutsch-amerikanische Freundschaft ein bloßes Zweckbündnis, das heute, 14 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, obsolet geworden ist. Und: Bleibt die Bundesrepublik den Vereinigten Staaten weiter zu Dank verpflichtet, oder ist der völkerrechtlich umstrittene Krieg gegen Saddam Hussein ein guter Grund, die Gefolgschaft aufzukündigen und sich aus der transatlantischen Solidarität zu verabschieden?

Schließlich: Ist die Nato zum politischen Anachronismus geworden, und wäre es nicht klüger, das westliche Bündnis durch eine Kontinentalachse Paris-Berlin-Moskau zu ersetzen, die ähnlich wie die transsibirische Eisenbahn bis Peking verlängert werden könnte, um für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewappnet zu sein?

Die durch den Irak-Krieg veränderte weltpolitische Konstellation wirft solche Fragen auf, die noch vor kurzem aberwitzig erschienen wären. Denn es liegt auf der Hand, dass Amerika und Deutschland nicht nur ein gemeinsamer Feind verband, der inzwischen von der Bildfläche verschwunden ist, sondern ein Stück gemeinsamer Geschichte, angefangen von den deutschen Einwanderern – und moralische Werte, die mit Worten wie Menschenwürde und Demokratie vage umschrieben sind. Für die Beziehungen zu Russland und China trifft das nicht zu.

Die Bundesregierung tut nun so, als sei sie das Rote Kreuz: Sie verspricht Hilfe beim Wiederaufbau des Irak, will Verwundete ausfliegen, bemüht sich um Schadensbegrenzung und ruft alle Beteiligten zur Mäßigung auf. Das ist schön und gut, jedenfalls besser als imperiale Machtpolitik, aber ein Staat ist keine humanitäre Organisation, er hat Interessen, die es glaubhaft zu vertreten gilt, auch wenn dies statt auf nationaler immer mehr auf europäischer Ebene geschieht.

Muss der Polizist sympathisch sein?

Davon ist die Bundesregierung weit entfernt, die erst ihren Wehretat heruntergefahren hat und plötzlich entdeckt, dass Europa eine glaubhafte Verteidigung braucht. Und es hat keinen Sinn, über den Weltpolizisten USA zu lamentieren, solange wir uns ängstlich unter dessen Schutzschild ducken und nicht in der Lage sind, Übeltäter vor der eigenen Haustür zu verhaften. „Ein Polizist braucht nicht sympathisch zu sein“, hat der Ex-Dissident György Konrád kürzlich erklärt, „aber er sollte seine Arbeit tun.“ Dazu fehlte Europa bisher die Kraft, wie der Balkan-Konflikt gezeigt hat. Hätten die USA damals auf deutsche Friedensappelle gehört, stünde Milosevic heute nicht in Den Haag vor Gericht.

Die Lernfähigkeit aus der Geschichte scheint begrenzt: Die Friedensbewegung ist angeschwollen zur großen Koalition, die von der PDS bis zur CSU, vom Zentralkomitee der KP Chinas bis zum Papst reicht und Globalisierungsgegner ebenso umfasst wie Kirchen und Gewerkschaften. Wer sich dem allgemeinen Konsens verweigert mit dem Argument, dass es moralisch gerechtfertigt sei, einen Tyrannen zu stürzen, der wird von rechtgläubigen Linken in die rechte Ecke gestellt, obwohl die rechtsextremen Parteien am lautesten brüllen und den Antiamerikanismus von links überbieten. Der von der RAF zur NPD übergewechselte Horst Mahler zog symbolisch den Hut vor den Selbstmordattentätern des 11. September, deren Opfermut er als vorbildlich pries.

Die neue Stimmung im Land lässt sich ablesen an den Gesichtern der Nachrichtensprecher des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Ihre Körpersprache ist beredter als ihre Kommentare aus dem Off: Mit hochgezogenen Augenbrauen und heruntergezogenen Mundwinkeln signalisieren sie den Zuschauern, was sie vom Vormarsch der Alliierten zu halten haben (die Reporter vor Ort sind da vorsichtiger) – und aus Angst vor Falschmeldungen setzen sie CNN, NBC und CBS mit dem irakischen Staatsfernsehen gleich. Dabei fällt der qualitative Unterschied unter den Tisch zwischen der Propaganda eines totalitären Regimes und privaten Medienkonzernen, die trotz ihres Hurra-Patriotismus keine verlängerten Arme der Regierung sind, im Gegenteil: In Vietnam und später im Golfkrieg hat die amerikanische Presse die Erfolgsmeldungen des Pentagon Lügen gestraft. Dafür gibt es einen Lackmustest, der auch im Irak funktioniert: Berichte über fehlenden Nachschub, Unfälle und so genanntes friendly fire werden nicht etwa unterdrückt, sondern in den US-Medien groß herausgestellt, obwohl sie der Militärführung auf Grund ihrer demoralisierenden Wirkung peinlich sind. In diktatorisch regierten Staaten wie NS-Deutschland oder der früheren Sowjetunion wurden solche Nachrichten streng zensiert.

Dies ist kein Versuch, die Leiden der Kriegsopfer zu relativieren oder die militärischen Rückschläge der Alliierten zu bagatellisieren. Aber es besteht kein Anlass zu Häme oder klammheimlicher Freude, und selbst wer Zweifel hegt an der völkerrechtlichen Legitimität des Feldzuges gegen Saddam Hussein, sollte nicht ins gegenteilige Extrem verfallen und einen Tyrannen aufwerten, der Massenmorde begangen hat und sein eigenes Volk als Geisel gefangen hält. Saddam ist kein Held des Widerstands, auch wenn seine grobschlächtige Propaganda bei den arabischen Massen Wirkung zeigt und die Opfer seiner Aggressionspolitik sich heute mit ihm solidarisieren auf den Straßen von Teheran.

Friedensliebe und Kulturschock

Noch schwerer verständlich ist die neue Welle des Anti-Amerikanismus in Europa, das den USA seine Befreiung verdankt. Dass die deutsche Friedensbewegung vom linken Rand in den Mainstream der Gesellschaft vorgestoßen ist und heute zu der von allen Parteien umworbenen neuen Mitte gehört, widerlegt jene, die die Entpolitisierung der Jugend beklagen: In diesen Tagen beteiligt sich jeder dritte deutsche Schüler an Demonstrationen gegen den Krieg im Irak. An die Stelle verbissener Linkssektierer und in die Jahre gekommener Ökopazifisten ist ein Kinder-Kreuzzug getreten, der an die Flower-Power-Bewegung der 60er Jahre erinnert – auch in seiner politischen Naivität – und dem kaum jemand seine Sympathie versagt. Aber in der Breite liegt eine Gefahr, denn wie jede Massenbewegung beruht sie auf einem Konsens, den kaum einer hinterfragt. Auf einer Kundgebung in Berlin wurde die Rede einer US-Bürgerin, die Bush als Kriegstreiber bezeichnete, begeistert beklatscht; als sie Saddam einen Massenmörder nannte, war der Beifall zögerlicher; und bei der Frage, ob eine Aufhebung der Sanktionen oder die Fortsetzung der Inspektionen wünschenswert seien, waren die Meinungen der Demonstranten genauso geteilt wie im Sicherheitsrat.

Aber auch, wer für den gewaltsamen Sturz des Tyrannen plädiert, muss sich fragen, wie dieses Ziel zu erreichen ist: Wenn ein Massenmörder nur gestoppt werden kann durch erneuten Massenmord, ist der Preis zu hoch. Es gibt Mittel, die alle politischen Zwecke desavouieren, selbst wenn diese noch so edel sind: Selbstmordattentate zum Beispiel, Giftgas und biologische Kampfstoffe oder die Bombardierung eines Markts, auf dem Einwohner Bagdads, die befreit werden sollen, nach Wasser und Brot anstehen. „Um Hue zu retten, mussten wir Hue zerstören“, sagte General Westmoreland in einem vergleichbaren Fall, aber die Lehre von Vietnam scheint heute vergessen zu sein.

Was bleibt, ist ein durch den Irak-Krieg ausgelöster Kulturschock, dessen Folgen für die transatlantische Allianz noch nicht absehbar sind: Zwischen dem Weißen Haus in Washington , wo die Teilnahme am täglichen Bibelunterricht fast schon obligatorisch ist, und dem auf säkularen Werten beruhenden alten Westeuropa wird die Verständigung immer schwieriger.

Der Autor veröffentlichte soeben den Prosaband „Wie Karl May Adolf Hitler traf“ (im Verlag Eichborn Berlin).

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