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Eine Arbeit des argentinischen Künstlers Tomas Saraceno auf der Frieze.

© Reuters

Frieze und Frieze Masters in London: Wir sind groß, wir sind teuer

London verkehrt: Zwei Frieze-Messen machen einander Konkurrenz – mit Antiken und zeitgenössischen Werken.

Ach, Norman. In seinem Essay lässt Sir Norman Leon Rosenthal einen Sammler erstehen, wie ihn die Frieze nicht mehr kennt. Der renommierte britische Kunsthistoriker imaginiert eine Figur, die noch ganz im analogen Zeitalter lebt – mit unzähligen Büchern, Stapeln vergilbter Magazine und Originalen von Picasso, Max Ernst oder Dubuffet. Kunst als Lebenselixier. Fast sieht man Tabakrauch aus der Koje der Galerie Helly Nahmad ziehen. Doch die Inszenierung ist eine Chimäre: ersonnen vom New Yorker Galeristen Nahmad und verbal unterfüttert durch Rosenthals großkopierten Essay, dem man die kulturelle Initiation in solchen post-existentialistischen Zweizimmerbuden sofort abnimmt.

Der Messebesucher von heute hat andere Appartments. Groß genug für einen dicken Pilz am Stand von Gagosian, vom Künstler Carsten Höller als monströse Wackelfigur ersonnen. Oder für jene 32 Fische, die Damien Hirst 1993 in Formaldeyd konserviert und auf zwei wandfüllende Regale verteilt hat. Es gibt noch andere Statussymbole aus der überbordenden Offerte der Galerie White Cube, deren Stand schier überquillt. Zur Frieze in London kommen schließlich die Reichen aus aller Welt, angelockt nicht zuletzt von den Auktionen, die Christie’s und Sotheby’s parallel zur Kunstmesse veranstalten. Da müssen selbst Galerien wie Marlbourough Fine Arts, Hauser & Wirth oder Marian Goodman etwas bieten, das konkurrenzlos auffällt. Doch die Akkumulation von Geld und Glamour hat ihren Preis. Im Messezelt der Frieze brüllen die Werke: Wir sind groß, teuer, wiedererkennbar. Es braucht nicht lange, bis die Neugier gestillt ist und sich zunehmend Überdruss einstellt. Den Sammler, den sich Nahmad in seiner wunderbaren Koje als introvertierten Obsessivling vorstellt, der die Avantgarde lange vor ihrer Institutionalisierung erkennt und erwirbt – man sucht ihn hier vergeblich.

Von der Frieze zur Frieze Masters

Die Galerie, selbst ein global player, hat ihre Koje allerdings auch nicht auf die Frieze gestellt. Stattdessen logiert sie bei den Frieze Masters und damit im Zelt jenes Ablegers, den die Messe vor drei Jahren selbst ins Leben gerufen hat, um noch ein bisschen größer zu werden. Vor allem aber nutzt sie die Erweiterung, um neben die unmittelbaren Zeitgenossen auch Künstler vergangener Epochen zu stellen. Welche Spannweite der Begriff der masters inzwischen besitzt, wird einem spätestens am Stand von Anita Beckers klar, die Peter Weibel eine Soloschau widmet. Auf TV-Schirmen laufen Performances, in denen der Medienkünstler mit seinem nackten Körper arbeitet. Dazu passen die One-Woman-Präsentationen der Sektion spotlight mit erotischen Tonskulpturen von Hannah Wilke (Galerie Alison Jacques) oder den Fotos einer Kranken, die die britische Fotografin Jo Spench (Galerie Richard Saltoun) bis 1992 von sich gemacht hat.

Dass solche Fotos zur sakralen Kunst des 17. Jahrhunderts passen, wie sie die Londoner Galerie Coll & Cortés präsentiert, mag einleuchten. Auch hier leiden die christlichen Figuren mit einer Intensität, über die man viele Skulpturen aus dem benachbarten Frieze-Zelt wieder vergisst. Zur Tribal Art (Donald Ellis, Gallery Entwistle), den antiken Statuen oder Wunderkammer-Objekten, die Georg Laue (München) in einer gemeinsamen Koje mit Peter Freeman (New York) präsentiert, fügt sich die Konzeptkunst der Sechziger jedoch ungleich schwerer. Dass es sie dennoch unter das Dach der Frieze Masters zieht, hat seinen Grund: Die jüngere Messe wirkt diesmal ungleich stärker, stellt die Arbeiten über das Spektakel und schafft trotz des üblichen Trubels immer wieder kontemplative Momente. Da wundert es einen nicht länger, dass die Messe vor wenigen Wochen einen Wechsel an ihrer Spitze verkündet hat: Victoria Sidall, bislang für die Frieze Masters zuständig, verantwortet nun auch die Frieze.

Performance-Programm auf der Frieze

Dass sich hier selbst die jüngsten Strömungen nicht beliebig einpassen lassen, konnte man zur Eröffnung am Performance-Programm sehen, das nun auch die Frieze erfasst. Vieles fand nahezu unbemerkt statt. Vor den stillen Aktionen mit den Materialien von Franz Erhard Walther saß lange ein älterer Herr – still vergnügt und in einem karierten Hemd, das keinem der zahlreichen Kleidungscodes folgte. Es war der Künstler, ganz analog in Kataloge vertieft. Norman hätte seine Freude gehabt.

Frieze & Frieze Masters, Regent’s Park, London, bis 19. 10., www.frieze.com

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