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Kultur: Frische Gräser braucht das Land

Das erste „Prosanova“-Festival in Hildesheim

Mit einer Utopie aus dem Blumentopf, so zürnte einst Peter Rühmkorf, lasse sich die deutsche Literatur nicht retten. Damals, 1962, gab es noch Heile-Welt-Darsteller, die sich mit einer Floristen-Metaphorik um die Auseinandersetzung mit der Gegenwart herummogeln wollten. An eine Wiederbelebung dieser Literatur aus dem Geiste der Kleingärtnerei dachten die Organisatoren des „Prosanova“-Festivals gewiss nicht, als sie am letzten Wochenende über 50 Autoren zum ersten „Festival für junge Literatur“ ins niedersächsische Hildesheim lockten. Aber konzeptionell hatte man einiges getan, um die „frischen Gräser“, den „Laubenrausch“ und „Saat und Wildwuchs“ der jungen Literatur mit Ornamenten zu versehen.

Einige Literaturstudenten, die sich an der Universität Hildesheim zum Schriftsteller diplomieren lassen und die Zeitschrift „Bella triste“ herausgeben, hatten ein abbruchreifes Möbelhaus zur zentralen Denkfabrik der jungen Autorengeneration umgerüstet. Die leeren Hallen hatte man mit Geranien, ausrangierten Sitzmöbeln, Tischtennisplatten und Tischfußballkästen bestückt. Dieser Ruinencharme verband sich mit juvenilen Zeichen einer Gemeinschaftlichkeit, die nach Party drängt. An den Fenstern Vignetten mit allerlei Parolen: „Bechern mit Bastian“, „Tanzen mit Thomas“ oder „Tischtennis mit Terézia“. Bastian Böttcher, Thomas Meinecke und Terézia Mora, denen diese Motti galten, firmierten als die Stars dieses Festivals, das die Stimmenvielfalt der jungen Literatur durchaus abbildete. Einige Literatur-Novizen indes beorderte man in brütender Hitze in eine Kleingartenkolonie im Osten Hildesheims, wo sie vor Laubenpächtern im weißen Feinripp-Shirt ihre Werke zum Besten geben durften.

Der hübsche Cocktail aus Clubatmosphäre, Party und Literatur vermochte sogar Menschen jenseits der Vierzig anzulocken, auch wenn sich so mancher durch die allseitige Fraternisierung irritiert zeigte. „Es ist ein ganz schmaler Grat, auf dem wir da gehen“, betonte Thomas Klupp, neben dem Suhrkamp-Autor Paul Brodowsky einer der rührigsten „Prosanova“-Aktivisten, „auf der Party tanzen 400 Leute, in den Lesungen sitzen 120. Wir schaffen hier ein kollektives Erlebnis – und das verbinden wir mit Literatur.“

Trotz der Geselligkeit behauptete sich die Literatur in der Clubatmosphäre, ohne zur Geräuschkulisse zu schrumpfen. Zunächst war noch Skepsis angebracht angesichts von Neutönern wie Jörg Albrecht oder Kevin Vennemann, die ihr zweifellos vorhandenes Talent zum literarischen Satzbau durch Hochgeschwindigkeits-Rezitation ungenießbar machten. Dass Wörter einen Körper haben, eine sinnliche Materialität und semantische Polyphonie – das demonstrierte dann die Lyrikerinnen Anja Utler und Uljana Wolf.

In die Abgründe der deutschen Vergangenheit führte das von Raphael Urweider, Kim Oetliker und Ted Gaier improvisierte Live-Hörspiel, in dem an das finstere Nachleben der faschistischen „Exilregierung des Deutschen Reiches“ gerührt wurde. Wie schwer sich auch die nicht mehr ganz so junge Literatur mit dem Politischen tut, verdeutlichte schließlich eine launige Debatte mit Thomas Meinecke, Kathrin Röggla und Tanja Dückers. Hier zeigte sich allenfalls die Gefahr einer Selbstdomestizierung, wenn sich – wie inzwischen üblich – Autoren zu Abendessen mit dem Bundeskanzler locken lassen.

Eine der schönsten Szenen des Festivals lieferte der Literaturstudent Florian Kessler mit einer hinreißenden Liebeserklärung an die Autoren. Bei „Prasolov“, so Kessler, seien nicht die „gut situierten Experten“ gefragt, die als „kühle Zergliederer“ das literarische Terrain sondieren, sondern Begeisterte mit ihrem „Gospel-Gottesdienst des Literaturenthusiasmus“. Tatsächlich verfügen die jungen Literatur-Bewunderer in Hildesheim noch über eine andere längst abhanden gekommene Ressource: Leidenschaft.

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