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Gerippe, Gerüst und Gefängnis. Szene aus Herbert Fritschs "Zeppelin"

© Thomas Aurin

Fritsch' "Zeppelin" an der Schaubühne: Ein Luftschiff wird kommen

Neue Heimat: Nach dem Ende der Castorf-Volksbühne hat Herbert Fritsch jetzt an der Schaubühne angedockt - und zeigt dort seine erste, melancholische Arbeit: „Zeppelin“.

Der Zeppelin ist die Titanic der Lüfte. Leicht und schwer und elegant, Triumph der Technik über die Natur und größte Illusion. Dass der Mensch fliegen kann, ist eine Sache. Eine andere ist es, zu schweben – in die herrlichste Havarie. Mit dem Zeppelin verbinden sich Luftschifferfantasien und Untergangsknall. Heiße Luft und Feuerbälle. Eine der erfolgreichsten Rock-Bands aller Zeiten nannte sich Led Zeppelin, bleiernes Luftschiff, ihr emblematischer Song hieß „Stairway to Heaven“. Himmelwärts ...

Dahin stürmen auch Herbert Fritschs Clowns und Chaoten immerzu. Ob spanisch oder panisch, Fliegenfänger oder Pfuschhandwerker, Mann oder Frau oder Rampensaugeschlecht – sie laufen voreinander weg und vor sich selbst. Hetzen, jagen, bohren sich durch Landschaften, die ihnen der Regisseur und Bühnenbildner entgegenstellt; eine Treppe, ein Trampolin, ein Sofamonster.

Hier jetzt, beim Debüt an der Schaubühne, sehen sich acht lustige Personen mit einem riesigen Gerippe konfrontiert. Es füllt die Bühnenbreite fast ganz: das Skelett eines Wals, das Gestänge eines Zeppelintiers. Viel Eigenleben hat das mächtige Spielzeug nicht. Es ist einfach da und dominiert. Es lässt sich heben und senken, aber nicht allzu viel und auch nicht oft. Es ist und bleibt ein Klettergerüst und wirft wunderbare Schatten an die Wand, das Licht ist ein Licht-Spiel. Dazu zaubert Ingo Günther – viel verhaltener als sonst – einen unheimlichen Klangraum. Hebt das Ding doch noch ab mit seinen verwirrten Passagieren? Oder sind sie gelandet, abgestürzt sogar, und wissen nicht, wohin es sie verschlug?

Spielen mit Textteilchen

Selten war bei einer Premiere so viel Vorfreude zu spüren. Nachdem er seine Heimat an der Volksbühne verloren hat, findet Herbert Fritsch in Berlin sogleich ein anderes bedeutendes Haus, an dem er mit seinen Akteuren arbeiten kann. Die Schaubühne hat die technischen Möglichkeiten, die er für seine Kreationen braucht. Wie schön auch, dass eine Schauspielerin wie Jule Böwe gleich beim „Zeppelin“ mit eingestiegen ist. Sie wird an Bord gebraucht. Schließlich spielen sie mit Textteilchen aus dem Werk Ödön von Horváths (1901–1938).

Es ist die Zeit der Weimarer Republik mit österreichischem Tonfall. Horváths Volksstücke spüren das Kommen des Faschismus, erzählen aus dem Leben der sogenannten kleinen Leute, folgen ihren Sehnsüchten und Gemeinheiten. Horváth ist der menschlichere, einfühlsamere Brecht – auch der sentimentalere. Er liebt das Märchen und den Rummelplatz, und wenn er sagt, dass die Liebe nimmer aufhört, dann ist das Herz schon längst gebrochen. Horváths kleine, große Dramen verlaufen horizontal, es gibt da wenig Ausreißer. Nur viel Fatalität, wie heute in den Filmen von Ken Loach.

Wenn in Fritschs „Zeppelin“ etwas davon herüberkommt, dann die brutale Leere. Die Öde von Horváth. Sie können turnen, kriechen, kichern, sich verrenken, wie sie wollen – die aufgekratzten Akrobaten des Alltags stecken fest. Und wenn einer fragt, siehst du Himmel, was sollen da die anderen antworten? Sie kommen nicht von der Stelle, das Zeppelin-Gerippe funktioniert gut als Gefängnis.

Trockenschwimmer ohne romantische Gefühle

Victoria Behr ist auch wieder dabei. Ganz wichtig für Herbert Fritsch: die Wiedererkennbarkeit der Maske, der Kostüme. Die acht Personen, die ihren Horváth suchen, könnten einem Stummfilm entsprungen sein: Axel Wandtke glotzt quadratschädelig wie Frankenstein. Insgesamt wirken die schrillen Klamotten diesmal etwas luftiger, sportlicher.

Fußball-Fan Fritsch lässt anfangs Kurzpassspiel trainieren. Aber auch daran verliert die Truppe schnell die Lust. Es sind Kinder, die stets was Neues ausprobieren, weil ihnen langweilig ist. Sie stellen forcierte Trostlosigkeit aus. Und wenn sie dann Offenbachs „Belle nuit, oh nuit d’amour“ anstimmen, klingt es nach Verzweiflung, wenn nicht Hohn.

In einem Horváth’schen „Sportmärchen“ springt in Le Havre ein „nüchternes Brustschwimmen“ ins Meer und kommt nach einer Ewigkeit in Amerika als „romantisches Rückenschwimmen“ an Land. Herbert Fritschs Trockenschwimmer geben keinen Anlass zu romantischen Gefühlen. Selten hat man bei Fritsch auch so wenig gelacht, oder gar nicht.

Endlos starren die Zeppelinauten stumm ins Publikum. Das Ende eines seltsamen Abends und hoffentlich der Beginn einer wunderbaren neuen Theaterfreundschaft.

Vorstellungen 21.–23. und 25.–27. September, am 30. September und 1.–3. Oktober.

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