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Zustände wie im alten Rom. Daniela Sindram in der Hosenrolle des Adriano im dritten Akt des „Rienzi“.

© BF Medien

Frühe Wagner-Opern in Bayreuth: "Rienzi" und "Das Liebesverbot" auf der Turnhallenbühne

Der Meister selber wollte es so: Die Großwerke gehören auf den Grünen Hügel. Also feiern die Bayreuther zwei frühe Marginalien Richard Wagners in der Oberfrankenhalle ab, wo sonst der Sport regiert. Mit klarem Sieg für "Das Liebesverbot".

Eine Sporthalle im Oberfränkischen. Normalerweise dribbeln hier Handballer, würzt der Schweiß von Basketballspielern die Luft. Jetzt treibt die Julihitze den Herren in schwarzem Jackett und Damen in engen Kostümen Perlen auf die Stirn. Lieber hätten sich die Honoratioren im Bayreuther Festspielhaus niedergelassen – aber das geht nicht, der Meister selbst hat es so gewollt. Auf dem Grünen Hügel dürfen nur die „vollgültigen“ Werke ab dem „Fliegenden Holländer“ gegeben werden. Zum 200. Geburtstag Richard Wagners aber wollte man in Bayreuth auch die Frühwerke „Die Feen“, „Das Liebesverbot“ sowie „Rienzi“ aufführen. Also die Oberfrankenhalle.

Gemeinsam mit Leipzig, wo Richard Wagner 1813 geboren wurde, widmen sich die fränkischen Festspiele den drei Stücken. Die zwei Städte stehen am Anfang und Ende von Wagners Künstlerbiographie, und dass er Leipzig schon als Kleinkind verlassen hat, tut nichts zur Sache. Später kam er immerhin nochmal als Thomaner zurück. Also haben die Oper Leipzig und die von Katharina Wagner gegründeten BF Medien GmbH kooperiert, um das auf die Bühne zu bringen, was hier neckisch als „FrühStück 1 - 3“ bezeichnet wird.

„Die Feen“ hat Leipzig bereits im Frühjahr in einer szenisch wie musikalisch überzeugenden Version gezeigt (siehe Tagesspiegel vom 19. Februar), Bayreuth macht jetzt weiter mit „Rienzi“. Die Fakten zu diesem 1842 entstandenen Schinken sind bekannt: Viel zu lang und gewaltig geraten, schichtet Wagner hier Tableaus, Chöre, Märsche und Hymnen in Tortenbauweise übereinander bis zum Überdruss. Die Titelfigur, der selbst ernannte römische Renaissance-Volkstribun Rienzi, steht stundenlang vor wimmelnden Menschenmassen und ruft geschätzte 500 Mal „Lang lebe Rom!“.

Polemik, klar. Aber die Frage bleibt: Wo, wenn nicht in Bayreuth, könnte eine neue, geschärfte Sichtweise auf das Werk gelingen? Christian Thielemann zumindest, eigentlich frischgebackener Dresdener Staatskapellmeister, versucht in seinem ersten Dirigat mit dem Leipziger Gewandhausorchester sein Möglichstes. In der filmmusikreifen Ouvertüre hat er noch Schwierigkeiten, den Klangapparat in Schwung zu bringen. Aber je länger der Abend dauert, desto geschmeidiger werden die Leipziger. Thielemann lässt sie funkenstiebende Klangfarben aus der Partitur zaubern, verleiht der Musik als souveräner Schalter und Walter die Gestalt eines Riesen, der trotz seines Körperbaus agil, behende und geradezu tänzerisch daherkommt.

Es ist trotzdem vergebliche Liebesmüh. Weil die Szene nicht zur Hilfe eilt. Regisseur Matthias von Stegmann bleibt zwar das Verdienst, „Rienzi“ nicht, wie Philipp Stölzl 2010 an der Deutschen Oper Berlin, aufs Nächstliegende bezogen zu haben: nämlich, dass es Hitlers Lieblingsoper war. Nationalsozialismus und Reichsparteitage bleiben außen vor, als Ersatz analysiert Hans Rudolf Vaget in einem lesenswerten Essay Hitlers frühe Linzer Initiation in Wagners Musik.

Von Stegmann allerdings verfällt (aus Angst?) ins andere Extrem und zeigt einen aseptischen, erschreckend belanglosen „Rienzi“. Zu Beginn: Fragmente des Kolosseums, die gleich wieder verschwinden (Bühne: Matthias Lippert), ein einsamer Baum, der wohl für mediterrane Atmosphäre stehen soll, dazu Videos, die die Zuschauerränge der Oberfrankenhalle (Volkstribun!) im Stil von Musikclips der 80er Jahre schwarz-weiß verfremdet wiedergeben, und ein Chor in pastellfarbenen Kostümen, um die Massivität der großen Gruppenszenen aufzulockern. Konzept- und ideenlos ist das, harmlos, brav – und völlig entbehrlich.

Fatal ist, dass Robert Dean Smith die Titelrolle singt. Der wackere, auch verdiente Wagnertenor ist nicht bekannt dafür, seine Rollen darstellerisch besonders aufzuwerten. Wie soll ausgerechnet er diese sowieso hölzerne, pathologisch nur an das Glück seiner „Braut Roma“ denkende Figur interessant machen? Da steht Smith nun vier Stunden lang, lässt die Arme mal nach unten hängen, reckt sie mal nach oben. In der Höhe wird die Stimme eng, nach der Pause hat er einen Durchhänger, Thielemann muss das Orchester dämpfen. Smith fängt sich wieder, aber von da an sorgt man sich, ob er durchhält.

Dass man unter diesen Umständen mehr erführe, wer dieser Rienzi nun sei, ob Revoluzzer, Volksheld, Diktator oder Retter Roms aus dem Schlamassel der Adelskriege, das bleibt reines Wunschdenken. Die anderen Protagonisten singen und spielen wesentlich besser, vor allem Daniela Sindram als wutschnaubender, schnappatmender Adriano, verliebt in Rienzis Schwester Irene (Jennifer Wilson), oder Milcho Borovinov als Adrianos bockiger Vater Colonna mit kernigem Bass.

Wagner selbst hat, unfairerweise, den „Rienzi“ später als „Ungethüm“ bezeichnet. Unfair, weil diese Oper seinen Durchbruch als Komponist markierte – und nicht, wie der Meister der Selbststilisierung später behauptet hat, der „Holländer“. „Rienzi“ hat ihm die Kapellmeisterstelle in Dresden ermöglicht, ohne die sein Leben wohl eine andere Wendung genommen hätte. Und doch steckt in diesem Wort vom „Ungethüm“, das ja eine schonungslose Selbstkritik ist, der Grund dafür, warum wir heute Wagner hören und eben nicht die damaligen Werke der Grand-Opéra-Hitproduzenten, Giacomo Meyerbeer und Jacques Fromental Halévy. Die Lösung für das Rätsel, wie es zum künstlerischen Quantensprung beim „Holländer“ kam – auch Bayreuth findet sie an diesem Abend nicht.

Völlig anders dann, einen Tag später, „Das Liebesverbot“, in dem Wagner 22-jährig Shakespeares „Maß für Maß“ vertont hat. Die Halle viel leerer, es fehlen die Sponsoren und ihre Gäste, die tags zuvor ein Drittel des Publikums ausgemacht haben dürften. Was sie verpassen: Wie man eine Oper rettet, die noch seltener gespielt wird als „Rienzi“.

Indem man sich ihr hemmungslos hingibt. Regisseur Aron Stiehl und Bühnenbildner Jürgen Kirner teilen die Szene in drei Teile: Das Reich der (im Operntitel verbotenen) Liebe, des Karnevals und der Lüste wird symbolisiert durch einen wildwuchernden tropischen Regenwald. Die ordnungsliebende Welt von Statthalter Friedrich (Tuomas Pursio), der all das verbieten lässt: Wände voller Nummern, wie Urnengräber. Und das Kloster von Schwester Isabella, die die Sturheit eben dieses Friedrichs schließlich aufweicht: ein schlichter weißer Raum. Stiehl hat ein Konzept, eine Haltung zum Stück: Er nimmt es als Buffa ernst. Und mit dem Leipziger Opernchor hat er zudem ein fantastisches Kollektiv aus Hippies, Tunten und Marktweibern zur Verfügung, dem das „Liebesverbot“ sichtlich mehr Spaß macht als „Rienzi“.

Der junge Dirigent Constantin Trinks leitet die Musiker mit flüssigen, entschlossenen Gesten. Zwar laufen ihm mehrmals die Fäden von Chor, Sängern und Orchester fühlbar auseinander, dann muss er ganz schön deutlich werden. Das ruckelt sich aber immer gleich wieder ein. „Das Liebesverbot“ wird in der nächsten Spielzeit an der Leipziger Oper zu sehen sein. Der „Rienzi“ dagegen bleibt eine einmalige Bayreuther Angelegenheit. Gut so.

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