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Fauler Zauber. Das Ölgemälde „La horde“, ein falscher Max Ernst, angeblich aus dem Jahr 1927. Foto: picture-alliance/dpa

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Kultur: Frühling für Fälscher

Warum Experten versagen: Der Skandal um Max Ernst offenbart, wie der Kunstmarkt funktioniert

Hätte es so etwas wie Maxiplag gegeben, wäre das wahrscheinlich nicht passiert – eine Internet-Plattform zu Max Ernst, auf der jedermann Zweifelsfälle publizieren und die Echtheit von Bildern untersuchen lassen kann. Dort hätte man die Lebensgeschichte des Künstlers genauso heranziehen können wie seine Vermarktung, mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden genauso agiert wie mit Stilkritik, Provenienzforschung und Marktanalyse, ohne Auftrag, ohne Vermarktungsinteresse, im Dienste der Wahrheit. In der Wissenschaft etabliert sich eine solche Praxis gerade erst, nach den Enthüllungen um kopierte Doktorarbeiten diverser Politiker, und zwar bezeichnenderweise nicht so sehr an den Universitäten, sondern im unüberschaubaren Internet. Im Kunstbereich galt bis jetzt unangefochten der gute Name des Experten.

Wie sich die Fälle häufen. Ein weltweit anerkannter Max-Ernst-Kenner und Doyen der deutschen Kunstgeschichte steht in Frankreich vor Gericht, weil er die Echtheit von gefälschten Bildern bestätigte und ihnen damit zu einem Millionenwert auf dem Markt verhalf. Ein smarter Verteidigungsminister muss nach beschämend langem Hin und Her zurücktreten, weil seine Doktorarbeit zu einem Großteil abgeschrieben war. Eine FDP-Politikerin trifft wenige Monate später das gleiche Künstlerpech. Nehmen wir noch eine Internet-Bloggerin hinzu, die über Monate aus Syrien dramatische und aufrüttelnde Berichte von Verfolgung, Unterdrückung, Niederschlagung von Widerstand in die Welt schickt und die, so kam jüngst heraus, gar nicht existiert, sondern das Hirngespinst eines Studenten aus Edinburgh ist. 2011 dürfte als das große Jahr der Fälschungen in die Geschichte eingehen.

Ein Wissenschafts- und Kunstsystem gerät unter Beschuss, in dem große Namen offenbar mehr zählen als klar nachprüfbare Untersuchungsmethoden und in dem mit diesen Namen viel Geld gemacht wird, in Form von Gutachten und Expertisen, deren Wert allein auf der Autorität des Experten beruht. Die Eitelkeit der Experten, man mag es auch wissenschaftliche Arroganz nennen, bot den Betrügern die Chance, dreiste Fälschungen vorzulegen und von ihnen zu profitieren, finanziell oder ideell. Blamiert hat sich Peter Häberle, Guttenbergs Doktorvater, genauso wie Werner Spies, und ihre Institutionen und Disziplinen gleich mit. Ob diese Fälle justiziabel sind, wird sich zeigen. Symptomatisch für eine systemische Fehlentwicklung sind sie sehr wohl.

So wird Werner Spies zu einem spektakulären Fall. Aber es hätte genauso gut die Direktorin des Berliner Brücke-Museums Magdalena Moeller sein können, die 2001 auf falsche Schmidt-Rottluff-Bilder hereinfiel, oder viele andere Kollegen, denen es ähnlich erging, übrigens schon seit dem 19. Jahrhundert. Der Fall Spies allerdings ist besonders dramatisch: Werner Spies ist für den Surrealismus die Autorität in der Kunstwelt, er war mit Max Ernst befreundet, schrieb seine Dissertation über dessen Collagen, betreut bis heute das Werkverzeichnis, organisierte über Jahrzehnte hinweg wegweisende Max-Ernst-Ausstellungen, und ist Spiritus rector des Max-Ernst-Museums in Brühl. Als brillanter Kunstkritiker, Übersetzer, Essayist, als Dozent, Ausstellungskurator und Buchautor war er wesentlich an der Durchsetzung der klassischen Moderne beteiligt. Noch heute ist sein Name das Gütesiegel für Museen, Ausstellungen und Sammler.

Nun tauchen seit Monaten im Zusammenhang mit der ominösen Sammlung Jägers gefälschte Max-Ernst-Bilder auf dem Kunstmarkt auf, deren Echtheit Werner Spies in der einen oder anderen Form bestätigt hat – sei es, dass er handschriftlich auf Fotos der Bilder notierte, er werde sie in das Werkverzeichnis aufnehmen, oder dass er sie in Ausstellungen aufnahm oder an Händler vermittelte. Spies, für den dieser Fall tatsächlich eine persönliche wie wissenschaftliche Tragödie, eine Beschädigung seines Lebenswerks sein mag, will sich zu dem Thema mit Rücksicht auf den laufenden Prozess derzeit nicht äußern. Er ließ aber über seinen Anwalt erklären, stilkritisch würde er heute noch genauso urteilen wie damals.

Stilkritik, das ist die Grunddisziplin der Kunstgeschichte. Natürlich kann man ein Kunstwerk mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen, kann Dendrochronologie anwenden, um das Alter von Holztafeln zu bestimmen, kann Farbpigmente untersuchen und damit zum Beispiel herausfinden, dass Farben wie Titanweiß und ein bestimmtes Cyanblau, wie sie auf den vermeintlichen Max Ernsts zu finden waren, zum angegebenen Entstehungsdatum von 1927 noch nicht verwendet wurden. Es hätte nur entsprechende Untersuchungen gebraucht, um die Jägers-Fälschungen zu entlarven – zum Teil fanden sie sogar statt und wurden unterdrückt. Dass Experten wie Spies, Auktionshäuser wie Lempertz und Sotheby’s und interessierte Sammler und Galerien solche Untersuchungen bei frisch auf dem Markt auftauchenden Millionenkandidaten nicht automatisch anfordern, wirkt höchst fahrlässig. Ist es doch erst das Zusammenspiel zwischen einem aufgeheizten Kunstmarkt und seinem Bedarf nach frischer Ware, der das Feld für Fälscher so ungemein attraktiv macht. Wo mit Gutachten und Vermittlung viel Geld verdient wird, ist das kritische Auge getrübt.

Und doch gibt es die Fälle, in denen all diese Methoden versagen. In denen auf Holztafeln und Leinwänden aus der entsprechenden Zeit gearbeitet und mit historischen Farben gemalt wird. Hier kommt der Fachmann ins Spiel, der Motivik, Pinselführung, Farbgebung mit anderen Werken vergleicht, Lebensgeschichte und Werkepochen heranzieht, um die Entstehungsbedingungen zu rekonstruieren. Wenn alles andere nicht hilft, muss er mit „kennerschaftlichem Blick“ entscheiden, ob das Bild eigenhändig sein kann oder nicht.

Kennerschaftlicher Blick, das ist, böse gesagt, ein Bauchgefühl, freundlicher formuliert ein subjektives Urteil, gestützt auf langjährige Seherfahrung im Umgang mit der Kunst. Nicht umsonst lassen sich Zweifelsfälle nur im direkten Augenschein klären. Deshalb sind Retrospektiven, die in alle Welt verstreute Werke eines Künstlers für die Dauer einer Ausstellung an einem Ort zusammenführen, so eminent wichtig für die Fachwelt. Hier haben sie – die Düsseldorfer Caravaggio-Ausstellung von 2006 mit all ihren Zweitfassungen und Kopien ist ein gutes Beispiel – die einmalige Gelegenheit, Werke vergleichen zu können, die sie sonst nur in Reproduktionen zur Verfügung haben. Denn Fälschungen sind kein Phänomen der jüngsten Zeit. Im Gegenteil. Schon immer hat die Nachfrage Kopien, Zweitfassungen, Plagiate hervorgerufen. Nur ist es ein Unterschied, ob das zu Lebzeiten des Künstlers, vielleicht sogar unter seiner Mitwirkung geschieht oder erst Jahrzehnte und Jahrhunderte später.

Ob ein Karl-Theodor zu Guttenberg, ob eine Silvana Koch-Mehrin in ihrer Doktorarbeit abgeschrieben haben, ob eine Bloggerin namens Amina Abdallah Araf existiert oder ob ihr hübsches Bild von der Facebook-Seite einer in London lebenden Kroatin geklaut worden ist, lässt sich mit etwas Mühe verifizieren – genauso, wie falsche Farbpigmente oder zu junges Holz naturwissenschaftlich nachgewiesen werden können. Ob aber eine Doktorarbeit den Qualitätsstandards der Wissenschaft entspricht, ob ein Bild tatsächlich aus der Hand eines Künstlers stammt, erfordert nach Ausschöpfung aller anderen Methoden immer noch die Beurteilung eines Fachmanns, der nach bestem Wissen und Gewissen und allen ihm zur Verfügung stehenden Kenntnissen argumentiert und der trotzdem irren kann.

Ein Rest Unsicherheit, eine letzte Subjektivität bleibt bei der Bewertung jedes kreativen Werks. Das ist die Kunst.

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