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Kultur: Frühlings Ersterben

Christiane Peitz singt ein Requiem auf die schönste Jahreszeit

Na sag schon, kannst du ein Gedicht? Ob Enkelkinder oder Führungspersönlichkeiten: Die meisten Deutschen parieren mit Mörikes frühlingsblauem Band. Aber nein, da flattert nix mehr durch die Lüfte, längst ist eine blaue Blume draus geworden, eine romantische Reminiszenz. Denn das mit dem heißen Sommer, sagen die Wetterexperten, bleibt globalklimatisch betrachtet zwar die Ausnahme. Für die Ernte ist’s schlimm, die dauerhafte Versteppung Nordeuropas ist vorerst trotzdem nicht zu befürchten. Aber der Frühling. Der fiel heuer nicht zum ersten Mal aus, der Blitzstart vom Winter in den Hochsommer hat inzwischen Methode. Eben noch Eiskunstlauf, und schon packst du die Badehose ein. Zeit, Abschied zu nehmen.

Der holde Lenz wird uns fehlen. Baumblüte adé, Amselschlag passé, auch die Narzissen wird man vermissen. Kein Veilchen mehr, das auf der Wiese steht, und seinen Übergangsmantel für den Osterspaziergang kann Goethe gleich mit einmotten. Vivaldi muss seine „Vier Jahreszeiten“ zur Trilogie eindampfen, das Four Seasons am Berliner Gendarmenmarkt hat ja in weiser Voraussicht längst Namen und Besitzer gewechselt. Mörike, Rilke, Novalis, Eichendorff, Heine, all die zahllosen Frühlingsversdichter wandern mit Wedekinds „Frühlings Erwachen“ zum Antiquar. Schumanns Frühlingssinfonie verstaubt im Klassik-Museum, März-Revolutionen, Aprilscherze, Maikäfer – alles perdu.

Das Abendland wird ärmer sein ohne die erste Jahreszeit. Und unsereins muss im Alter auch noch auf den zweiten Frühling verzichten. Jetzt heißt es, ein neues Gedicht zu lernen. Nur Gerhard Schröder ist fein raus, der konnte als Kanzler auch immer nur eins. Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Rilkes Herbst, sagen die Wetterexperten, bleibt uns noch eine Weile erhalten.

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