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Kultur: Frühstück mit Frauen

Frisch auf die Bühne: Stefan Pucher prüft „Homo Faber“ in Zürich

Die Theaterstücke dieser Saison stammen aus den Fünzigern. Tennessee Williams, Edward Albee, Max Frisch sind die Propheten, denen wir heute wieder zuhören sollen. Aber nicht die Stücke, die Roman Schweizer Schriftsteller Frisch werden auf die Bühnen gehievt, „Stiller“ in Basel, „Homo Faber“ jetzt in Zürich.

Max Frischs fünzig Jahre alter Roman scheint nur aus Bonmots zu bestehen, das denkt man zu Anfang und ist hingerissen, wenn vier Homo Faber, aussehend wie Max Frisch, am Konferenztisch sitzen und sich wohl fühlen mit sich selbst und ihrer logischen Männersicht auf das Leben. Gefühlsfrei. Faber ist ein hochrangiger Ingenieur, ein Techniker, für den es keine Fügungen gibt, kein Schicksal. Der neue Mann der Nachkriegs-Fünziger, Mittelpunkt einer berechenbaren männlichen Welt, in der Frauen als Unsicherheitsfaktor nur stören: „Frühstück mit Frauen, Gefühle am Morgen, das erträgt kein Mann“.

Entlarvende Sentenzen, knochentrocken serviert, das machen sie sehr schön, die trotz Frisch-Maske extrem unterschiedlichen Herren Siggi Schwientek, Daniel Friedrich, Ludwig Boettger. Plus Jürg Kienberger, der das schweizer Idom liefert und die musikalische Begleitung.

Homo Frisch selbviert? Nicht nur Pucher sieht die Parallelen. Frisch war Architekt, also Techniker, hatte wechselnde Frauen, darunter die an ihm verzweifelnde Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Er reiste viel, war während der Entstehung des Romans mit einer Freundin in Griechenland. Grund genug, um mit Homo Faber auch Homo Frisch zu spielen.

Drei Männer in Anzügen, mit Bart und ohne, alle mit Max-Frisch-Haarschopf, sehen und reden ins Publikum. Versunken in eine andere Welt, singt eine überirdisch Blonde hinter ihrem Rücken, der vierte Mann begleitet sie. Das ist die Frau, die Homo Fabers Schicksal wird. Er liebt sie, sie werden ein Paar, sie ist seine Tochter, was er ahnt, nicht wissen will. Die natürliche Liebe eines Vaters zu seiner Tochter wird hier zur unnatürlichsten, verbotensten, weil Homo Faber sich seiner ersten Liebe nicht stellte, keine Verantwortung übernahm Und so von seiner Tochter nie erfuhr.

Kurz davor hat er bereits seine gerade Lebensbahn verlassen. Ausgelöst durch einen Flugzeugabsturz, reist er in den Dschungel der Gefühle, will seinen einzigen Freund wiedersehen, sich konfrontieren mit der Vergangenheit.

Den Dschungel in Zürich bauen Bühnenarbeiter mit Steckplanzen und Hängematte. Hanna, die einzige Liebe in Fabers Leben, Halbjüdin, Mutter seiner Tochter, hat sich auf offener Bühne in eine Krankenschwester verwandelt, jetzt singt sie zum Umbau. Schön, natürlich: „For no one“. Die Texte der Lieder sind der poetische Kommentar.

Doch viel zu selten wird miteinander gespielt. Einmal, wenn Olivia Grigolli als Hanna stumm am Tisch sitzt mit den Männern und Fabers Rechtfertigungen zuhört, ihre Version jeweils an einen Anderen der vier adressiert. Und als ein fünfter Homo Faber vor dem eisernen Vorhang die Verliebtheit in die junge Sabeth (Julika Jenkins) endlich auch körperlich spielt, sagt er aus dem Küssen heraus „Ich habe Homo Faber gerade zum neunten Mal gelesen, ich muss dir vorlesen“, geht in die Mitte und rezitiert, schon wieder! Davor hatten zwei Krankenschwestern (Grigolli und Katja Kolm) vorgelesen, danach bilden Liebespaar und Krankenschwestern das Literarische Quartett, fallen über „Homo Faber“ her, Reich-Ranicki glänzend parodiert von Daniel Lommatzsch. Aber – ist das nicht Kabarett?

Und wann kommt Robert Hunger-Bühler? Für sein spätes Erscheinen entschädigt ein wahrhaft sagenhaftes Bild: Ein Riesenkopf, wie von einer griechischen Statue abgebrochen, liegt seitlich am Boden, und Hunger-Bühlers Gesicht ist darauf projiziert. Das Gesicht übt Singen mit Kienberger „Your mother should know“. Ein Höhepunkt. Die Symbiose von Roman und Bild und Theater und Form.

Der reale Hunger-Bühler monologiert vor sich selbst, überlebensgroß auf dem Eisernen Vorhang, bei Bewegung sich vervielfachend: sich selbst die Welt, eine farblose Welt, eine wackelige Welt. Er redet vom Sehen, wir wissen, dass er blind war, hinter ihm ein Vogelauge, riesig. Er behauptet, dass er nichts fürchtet, hinter ihm ein schwarzer Vogel, das Schicksal, das er verleugnete.

Zum Schluss drei rotgekleidete Stewardessen hinterm Klavier, letzter Aufruf „Mr.Foerber“. Die Todesengel singen leise „Can you take me back where I came from“, doch Rückkehr – unmöglich. Zu spät Gefühl zugelassen, Inzest begangen. Das statistisch am wenigsten Wahrscheinliche: eingetroffen.

Was hat Stefan Pucher gemacht? Geniale Bilder. Zu viel gedacht. Zu wenig Theater. Den Roman neu entdeckt.

Ulrike Kahle

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