zum Hauptinhalt

Kultur: Für alles verdorben

Vor 200 Jahren kam Friedrich Schiller für 17 Tage nach Berlin. Warum ist er nicht geblieben? Eine Rekonstruktion

Berlin war ein Traum. Das erste Mal 1782, dann 1789 und wieder 1801. Für den jungen Künstler, den sein Landesherr als Deserteur verfolgte, war hier sein „Glück aufgehoben“, wie er schrieb. Dem Verlobten schien die Stadt ein Auskommen für die Familiengründung zu bieten, und noch der berühmte Dichter plante einen längeren Aufenthalt. Aber erst 1804 reiste Friedrich Schiller wirklich nach Berlin. Siebzehn Tage währte sein Aufenthalt, und an deren Ende war der Traum zerstoben.

Am Mittag des 1. Mai 1804 klettern Friedrich, Charlotte und ihre zehn und sieben Jahre alten Söhne Karl und Ernst aus der Postkutsche. Eine beschwerliche, fünftägige Reise liegt hinter ihnen. Von Weimar aus sind sie erst zur Leipziger Messe gefahren, auf der Schiller seine Verleger traf. Dann ging es nach Berlin. Die Fahrt im ungefederten Wagen ist eine Strapaze nicht nur für die schwangere Ehefrau, auch für den Dichter und Historiker selbst. Seit 1791 eine Lungen- und Rippenfellentzündung unzureichend verheilt ist, werfen ihn regelmäßig schmerzhafte Krämpfe und fiebrige Infekte nieder. Schiller ist 45 Jahre alt und gibt sich noch fünf Jahre. Er muss seine Familie absichern.

Die Schillers nehmen Quartier im Hotel de Russie Unter den Linden. Die Besuche und Abendvergnügungen der nächsten Tage hält Schiller sehr knapp in seinem Kalender fest. Meist nur Namen. Der Mann schreibt Dramen, keine Autobiografie, ihm geht es um Konstellationen, nicht um Details. Und Schiller ist ein philosophischer Kopf, der in seiner Jenaer Antrittsrede über die Universalgeschichte sagt, er habe das Große immer im Auge, wodurch auch das Kleine Größe gewinne. Was sind schon 17 Tage?

Nun, ganz unbedeutend waren sie für den notorisch Mittellosen nicht. Sie sind sein letzter Versuch, dem „über alle Maßen jämmerlichen Los, von der Feder zu leben“, zu entkommen. Sie zeigen die Dichte der intellektuellen und künstlerischen Beziehungen und den Beginn einer deutschen Nationalkultur, die sich aus der Konkurrenz der zersplitterten deutschen König- und Fürstentümer erhebt. Und sie erlauben Frank Druffner und Martin Schalhorn vom Marbacher Schiller-Nationalmuseum, in einer bescheidenen, auf acht Vitrinen beschränkten Schau in der Baden-Württembergischen Landesvertretung einen Vorgeschmack auf die großen Weimarer und Marbacher Ausstellungen im 200. Todesjahr Schillers 2005 zu geben. Dazu bietet Michael Bienert, Verfasser des vorzüglichen Katalogs, Stadtrundgänge auf den Spuren Schillers an. In 17 Tagen um die kleine Schiller-Welt.

Weimar ist um 1800 das Zentrum der deutschen Literatur. Hier leben Goethe, Herder, Wieland und eben auch Schiller. Am Hoftheater von Carl August inszenieren sie ihre eigenen Stücke. Doch die 400 Reichsthaler, die der kunstsinnige Landesherr Schiller zukommen lässt, sind ein bescheidenes Salär, und die Beziehung zu Goethe ist nicht frei von Komplikationen. Außerdem schreibt Schiller für die Menschheit. Weimar zählt indes nur 6000 Einwohner. Wie anders sieht es in Berlin aus, der 180000-Einwohner-Stadt, darunter 25000 „Militärpersonen“ und 249 Bäckermeister! Zumal August Wilhelm Iffland seit 1796 das von Friedrich Wilhelm II. kräftig geförderte National-Theater am Gendarmenmarkt leitet. Iffland spielt Mozart, Shakespeare, Lessing, Kotzebue, Goethe – und immer wieder Schiller. Für sein Theater als moralische, den Nationalgeist bildende Anstalt braucht er neue Stücke. Schiller soll sein Hausautor werden. „Bei Iffland zu Mittag“, vermerkt Schiller immer wieder.

Die Abende verbringt er meist im Theater, einem Palast der Kultur: ein Konzert- und ein Theatersaal mit je 1000 Plätzen, große Foyers, Werkstätten, Garderoben, Büros, eine Konditorei neben der Kasse. 1802 hatte Carl Gotthard Langhans das Haus fertig gestellt, und als es 1817 abbrennt, errichtet Schinkel das heutige Schauspielhaus auf seinen Grundmauern.

Am 3. Mai hätte Schiller eine Aufführung der „Räuber“ sehen können, doch er geht nicht hin – der Sturm und Drang mag ihm fern gerückt sein. Stehende Ovationen nimmt er in den folgenden Tagen bei Aufführungen von „Die Braut von Messina“, „Jungfrau von Orleans“ und „Wallensteins Tod“ entgegen. Nicht immer ist er begeistert: „Musik und Theater bieten mancherlei Genüße an, obgleich beide das bei weitem nicht leisten, was sie kosten.“

An den Tagen kann Schiller nicht allzu viele Freunde besuchen: Weder die Brüder Humboldt noch Heinrich von Kleist sind in Berlin. Der König erteilt keine Audienz, wohl aber die literaturbegeisterte, vom Volk verehrte Königin Luise. Am 5. Mai isst Schiller mit dem Prinzen Ludwig Ferdinand zu Mittag und spricht der Legende nach dem Weißburgunder so heftig zu, dass ihn eine Kutsche zurückbringt. Danach fallen die Eintragungen im Kalender noch dürftiger aus: „Ich war 8 Tage in Berlin krank und für alles verdorben.“ Hufeland, der wegen seiner „Makrobiotik“ berühmte Leibarzt Luises, eilt herbei und wird ein persönlicher Freund.

Ein offizielles Angebot erhält Schiller nicht. Und so packt er am 16. Mai enttäuscht die Koffer. Als Iffland – davon alarmiert – den Geheimen Kabinettsrat von Beyme informiert, dass Schiller sich für eine Anstellung als preußischer Geschichtsschreiber, Akademiemitglied, Geschichtslehrer des Prinzen interessiere und für das Theater arbeiten wolle, offeriert Beyme dem Abreisenden am 17. Mai in Potsdam 3000 Reichsthaler Jahresgehalt sowie eine Kutsche. Eine lukrative Offerte. Doch Schiller zögert. Seine Frau fühlte sich in Berlin nicht wohl, und er fürchtet, dass ihn „die Zerstreuungen einer großen Stadt“ von der Poesie abhalten.

In Weimar lösen Schillers Umzugspläne Irritationen aus, und Carl August verdoppelt das Salär. Schiller pokert. Er schlägt Beyme vor, für 2000 Thaler einige Monate im Jahr in Berlin zu arbeiten. Beyme vermerkt: „Ad acta bis sich Gelegenheit findet.“ Ein Jahr später ist Schiller tot. Der preußische Traum ist ausgeträumt.

Noch bis 17.5. in der Baden-Württembergischen Landesvertretung (Tiergartenstr. 15), Mo–Do 9–18 Uhr, Fr. 9–16 Uhr. Eintritt frei. Stadtrundgang: 2., 9. und 16.5., 6.6. und 8.8. Beginn jeweils 14 Uhr vor dem Schillerdenkmal am Gendarmenmarkt (8 €).

Jörg Plath

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false