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Kultur: Für den Störenfried bin ich zu alt

Wir sind die Barbaren: Der Salzburger Schauspieldirektor Martin Kušej über die Brüchigkeit unserer Zivilisation

Martin Kušej, Sie sind für zwei Jahre Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele, nach großen Erfolgen zuletzt auch als Opernregisseur in Salzburg mit Mozarts „Don Giovanni“ und „Titus“. Ihre erste Spielzeit haben Sie unter das Motto gestellt „Wir, die Barbaren – Nachrichten aus der Zivilisation“. Als Sie das formulierten, konnten Sie von den jüngsten Londoner Terrorattacken noch nichts ahnen.

Natürlich nicht. Die Irritation ist als Selbstbeunruhigung und Neugiererweckung gewollt, aber ich hätte nie auf eine solche Aktualisierung spekuliert.

Irritierend angesichts der realen Gewalt wirkt dieses „Wir, die Barbaren“ allerdings auch inmitten eines hochfeinen, hochkulturellen Festivalbetriebs.

Warum soll sich ein Festival nicht damit konfrontieren? Es geht uns doch um Kunst. Und Künstler erzählen nicht vom Tagesaktuellen, sondern von den eigenen Abgründen. Bei den Fernsehbildern von all den Bombenattentaten der letzten Wochen ist mir plötzlich „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ eingefallen, dieser 40 Jahre alte Bunuel-Film: eine vermeintliche Komödie, wo ganz beiläufig auch dauernd irgendwelche Papierkörbe explodieren. Bunuel wollte bestimmt kein Hellseher sein. Aber er hat von etwas erzählt, was uns immer betroffen hat und betreffen wird: eine Unsicherheit hinter dem Alltag, eine unfassbare Bedrohung. Es geht um die Brüchigkeit unserer Zivilisationsschicht.

Sie berufen sich bei Ihrem Motto auf den südafrikanischen Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee und seinen Roman „Warten auf die Barbaren“. Ursprünglich waren „Barbaren“ im Griechischen die „Fremden“: meist die Nichtzivilisierten, die Außerkulturellen.

Ich glaube, dieser einfache Gegensatz funktioniert heute nicht mehr. Es gibt den Kampf der Kulturen, und es gibt die Barbarei innerhalb der eigenen Zivilisation.

Die Terroristen von London waren offenbar Briten. Keine Aliens, aber aus einer uns fremden Kultur. Andererseits gibt es den Gedanken von Walter Benjamin, dass zu jeder Kultur, wie der Schatten der Aufklärung, ihr eigenes barbarisches Potential gehört.

Wenn man Benjamin mal weiterdenkt, muss man das nicht nur abwertend sehen. Bei der Präsentation unseres diesjährigen Schauspielprogramms habe ich davon gesprochen, dass sich die Menschen bisweilen eine „barbarische“ Erschütterung insgeheim herbeisehnen. Um damit Versteinerungen der eigenen Kultur oder Lebensart aufzubrechen. Das wusste schon Kleist, darum spielen wir nächste Woche seine „Penthesilea“.

Der polnische Dichter und Dramatiker Andrej Stasiuk hat die Westeuropäer vor einem Jahr anlässlich der EU-Erweiterung bereits sarkastisch gewarnt: „Achtung, die Barbaren kommen!“ Merkwürdigerweise kommen die Osteuropäer im Salzburger „Barbaren-Programm“ nur am Rande vor.

Das stimmt nicht. Im Rahmen unseres „Young Directors Project“ gibt es nicht nur eine ungarische „Phädra“, ich habe auch das Slowenische Nationaltheater aus Ljubljana mit einer hoch interessanten Dramatisierung von Vladimir Bartols „Alamut“ eingeladen. Nicht einfach als Gastspiel, sondern mit einer gemeinsam entwickelten und von uns finanzierten Produktion, die in Salzburg ihre Premiere hatte. Die Adaption des Romans „Alamut“ aus dem Jahr 1938 erzählt von einem radikalen Islamisten, der seine Anhänger als Selbstmordattentäter in den Tod schickt. Es sind die Assasinen, eine Sekte im 9. Jahrhundert …

… Islamforscher haben diese Assasinen nach dem 11. September 2001 als Vorbilder der jetzigen Attentäter entdeckt.

Ja, das alles hat Bartol in Slowenien schon 1938 geschrieben, unter dem Eindruck von Hitler, Stalin und Mussolini.

Bei der Dialektik von Kultur, Zivilisation und Barbarei kommen einem 60 Jahre nach Kriegsende in der Tat noch andere Zusammenhänge von Denkern und Henkern in den Sinn.

Auch das schwingt bei uns mit. In Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“, die in Berlin am Ende der Weimarer Republik und bereits bedroht von den Nazis uraufgeführt wurden, geht es bis in die Sprache immerzu um die Psychologie der Menschenverachtung. Mit dem Horváth haben wir die Festspiele eröffnet. Oder nehmen Sie Elfriede Jelineks „Kinder der Toten“ in unserem Programm „Dichter zu Gast“.

Im Schauspielprogramm hat jetzt Ihre eigene Neuinterpretation von Franz Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ Premiere. Mit diesem Drama wurde 1955 in Wien, gleichsam als kultureller Staatsakt zur wiedergewonnenen Unabhängigkeit Österreichs, das im Krieg zerstörte Burgtheater wiedereröffnet. Mit Werner Krauß als Habsburgherrscher, also jenem Protagonisten, der unter den Nazis im „Jud Süß“-Film und als Shylock am Burgtheater Juden als antisemitische Karikaturen gespielt hatte. 50 Jahre nach dieser theatralen Verdrängungsfeier hat Ihr „Ottokar“ wohl einige symbolische Bedeutung?

Ich werde mit dem Grillparzer gewiss eine harte, nichts verdrängende Geschichte erzählen. Wir wollen den Kokon von Missinterpretation, von Verklärung und idealistischer nationaler Identitätsstiftung durchstoßen. Der „Ottokar“ gilt als eine Art österreichischer Gründungsmythos …

… im Kern geht es um den Triumph Rudolf von Habsburgs über den „barbarischen“ Böhmenkönig Ottokar, in Salzburg von Michael Maertens und Tobias Moretti gespielt …

… ja, und ich möchte mit unseren Schauspielern zeigen, dass Grillparzer den Habsburgkaiser nicht einfach nur als Heilsgestalt für einen österreichisch dominierten Vielvölkerstaat entworfen hat. Grillparzer hatte sich über diese Sicht schon bei der Uraufführung 1825 aufgeregt. In Ottokar und Rudolf sind zwischen Hybris und Harmonie-Sehnsucht, zwischen neoliberaler Dynamik und konservativer Beschwichtigung viele Züge auch heutiger politischer Widersprüche eingeschrieben. Das ist der wirklich spannende Subtext des Stücks. Den wollen wir heben wie einen versunkenen Schatz. Ohne pseudoaktuelle, besserwisserische Kommentare von außen.

Das Theater der etwas jüngeren Regiegeneration hat zu solch einer gleichsam immanenten Auseinandersetzung mit alten Stücken oft keine Lust mehr. Oder auch nicht mehr die Fähigkeit – sich ein anderes Bild als das der ironischen Versimpelung von der Macht und den Mächtigen zu machen.

Vielleicht muss das Theater da einfach durch. Ich bin kein Traditionalist. Aber es langweilt mich inzwischen, wenn aus Hamlet, Richard oder Othello bestenfalls Popstars werden. Andererseits sind Herrscherfiguren heute nicht mehr mit der Selbstverständlichkeit und dem Pathos des Vormedienzeitalters darzustellen. Es ist ein Problem des heutigen Theaters.

Ein letztes Mal zu Ihrem „Barbaren“-Motto: Sind für Sie auch die Künstler die Barbaren – Fremde gegenüber den Bürgern im Parkett? Taugen Sie selbst als Festspieldirektor noch zum Störenfried?

Also für den Störenfried bin ich zu alt. Das habe ich mit 44 schon hinter mir. Es hat in einer Künstlerbiografie seine Notwendigkeit, und das schätze ich sehr. Trotzdem ist die vermeintliche Provokation selber schon eine akzeptierte Konvention, da gerät man schnell in einen Widerspruch. Außerdem fühle ich inzwischen eine größere Verantwortlichkeit. Das heißt nicht, dass man für sich oder andere bequemer wird. Aber wenn ich hier beispielsweise Otto Schily und die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanovic einlade, um über Barbarei und Zivilisation zu diskutieren, dann bewege ich mich auf einem anderen Reflexionsniveau als ein provozieren wollender szenischer Aktionist.

Warum amtieren Sie nur zwei Jahre als Schauspieldirektor in Salzburg? Ihr Nachfolger, der Dramaturg und Dramatiker Thomas Oberender steht schon fest.

Mir gefällt zunächst mal die Kurzstrecke. Da muss man von Anfang an alles geben, alle Kräfte konzentrieren, das führt zu einer Art lustvollen Übermotivierung. Ich merke, dass es mir auch liegt, andere zu motivieren, für andere Künstler die bestmöglichen Arbeitsbedingungen zu schaffen, mit Politikern zu verhandeln, mit einem Theater-Programm auch einen größeren Zusammenhang zu stiften und nicht nur für meine eigenen Inszenierungen verantwortlich zu sein.

Im Jahr 2008 wollen Sie nach 20 Jahren Theaterarbeit eine kreative „Auszeit“ nehmen. Genau dann steht die Nachfolge von Klaus Bachler als Direktor des Wiener Burgtheaters an. Sie werden dafür schon favorisiert.

Darüber gibt es so viele Spekulationen, dass ich eigentlich nichts mehr dazu sagen möchte.

Aber es ist doch nicht unehrenhaft, sich als österreichischer Theatermann, der auch Lust am Anstiften anderer Künstler hat, zu sagen: Mich interessiert das Burgtheater, die größte europäische Schauspielbühne.

Also gut, es könnte mich interessieren. Wenn es so weit ist.

Das Gespräch führte Peter von Becker

MARTIN KUŠEJ ,

geboren 1961 in Kärnten, ist seit diesem Jahr Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele. Heute Abend hat dort das von ihm inszenierte Grillparzer-Trauerspiel „König Ottokars Glück und Ende“ Premiere. Das Festspiel-Programm hat Kušej unter das Motto „Wir, die Barbaren – Nachrichten aus der Zivilisation“

gestellt.

Mit einer „Hamlet“ -Inszenierung hatte Kušej schon vor fünf Jahren

in Salzburg für Aufsehen gesorgt. Ansonsten

arbeitet der Regisseur, der aus der Off-Szene kommt, in Stuttgart, Hamburg, Berlin und Wien. Seit einiger Zeit inszeniert er auch Opern . Nach zwei Jahren Schauspieldirektion in Salzburg möchte sich Kušej 2008 eine Auszeit gönnen. Er wird aber auch als Nachfolger von Klaus Bachler am Wiener Burgtheater gehandelt.

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