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Kultur: Für die Freunde des sozialen Realismus

Die Zeitschrift „ndl“ ist gerettet. Sie wagt den Spagat von Hochglanz und Poesie

Manche Wunder gehen sehr schnell, vielleicht zu schnell. Ende letzten Jahres wollte der Aufbau-Verlag die Zeitschrift „neue deutsche literatur“ („ndl“) wegen mangelnder Rentabilität einstellen. Gerettet wurde die ehemalige Zeitschrift des DDR-Schriftstellerverbandes von den Schwartzkopff Buchwerken, einem neuen Verlag, der seine ersten Bücher im Herbst vorlegen wird. Peter Schwartzkopff, der 1984 aus der DDR in den Westen übersiedelte und als Fernseh- und Filmproduzent viel Geld verdiente, hat die Zeitschrift für den berühmten einen Euro übernommen. Die ersten beiden Hefte liegen jetzt vor. Die „ndl“ erscheint wieder wie einst monatlich, will das „sozial-realistische Schreiben“ entdecken und wird vom bisherigen Redakteur Jürgen Engler betreut. Der Neuanfang knüpft an erstaunlich viele Traditionen an.

Aber natürlich soll alles anders werden. Der neue Untertitel lautet nun „zeitschrift für literatur und politik“, weshalb die „ndl“ nun auch internationale Literatur, politische Essays sowie Fotografien und Grafiken druckt. Aus der gediegen-buchähnlichen Publikation ist ein halb so dünnes Hochglanzprodukt geworden. Dafür ist es umso farbiger: Willkürlich sind in Heft 1 Texte wie Anzeigen in allen Schattierungen unterlegt. In Heft 2 hat die Grafikerin Maren Barber nur einmal in den Farbtopf greifen dürfen und Gedichte von Thomas Böhme hellgelb hinterlegt.

Ebenso willkürlich werden die Rubriken gehandhabt. Es gibt sie in verschwenderischer Fülle, denn die meisten enthalten nur einen Text. In bemerkenswerter Einfallslosigkeit lauten sie „lyrik“, „lektüre“ oder „lesarten“, und sie wechseln jedes Mal. Wenn die Texte da seien, sagte Jürgen Engler bei der Vorstellung des ersten Heftes, fielen einem die Rubriken schon ein. Das darf bezweifelt werden, illustriert aber deutlich, dass die Redaktion auf Gestaltung und Konzeption verzichtet. Neu ist das nicht: Die „ndl“ war zumindest in den letzten Jahren eine bloße Abdruckstätte für viele, oft befreundete Autoren. Auf überzeugende Hefte mit großen wie unbekannten Namen folgten schwache. Solche Qualitätsschwankungen hat die „ndl“ in den letzten Jahren neun Zehntel ihrer 12000 Abonnenten gekostet.

Trotz aller Kosmetik droht die „ndl“ diese Tradition fortzusetzen: Das erste Heft ist erschreckend schwach, das zweite deutlich besser. In diesem ist allerdings von der beabsichtigen Erweiterung des Themenspektrums, für die vor einem Monat eine lange Rede von Wim Wenders und ein Bericht aus dem vom Schüleramoklauf traumatisierten Erfurt standen, nichts mehr zu sehen. Die Literatur beherrscht das Feld. Nicht literarisch ist allein noch Enno Stahls „Deutschlands Stagnation“, eine lustlose Paraphrase von Leitartikeln aus den letzten fünf Jahren. Debatten wird die „ndl“ so nicht anzetteln können.

Immerhin scheint der unsägliche Diskursbeitrag im ersten Heft ein Ausrutscher gewesen zu sein. Darin behauptete die Amerikanerin Phyllis Chesler, dass „die gesamte Welt (die Vereinten Nationen, die Arabische Liga, die Europäische Union, die meisten internationalen Menschenrechtsorganisationen, westliche Intellektuelle, Journalisten und Aktivisten für soziale Gerechtigkeit) nach jüdischem Blut brüllt und die Faschisten, die islamistischen Terroristen romantisiert“. Wie bitte? Die Welt brüllt nach jüdischem Blut?

In Heft 2 konnte das Niveau nur steigen. Erfreuten in Heft 1 nur die Neuentdeckung Kerstin Kempker und der theweleitisch delirierende Lyriker Gerald Fiebig, kommen nun mit Uta-Maria Heim, Steffen Mensching, Katrin Groß-Striffler, Thomas Böhme und anderen vertraute Namen hinzu. Gäbe es nicht das neue Layout, nicht die Gedichte von Denise Duhamel aus den USA und Fotos von Günter Prust, wäre die Sache klar: Das ist ganz die alte „ndl“. Schlimmeres kann man der neuen eigentlich nicht nachsagen. Man muss bangen für die glücklich gerettete Zeitschrift.

„ndl“ Nr. 3 erscheint diese Woche.

Jörg Plath

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