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Kultur: Für Jäger und Sammler

Art Forum Berlin: Heute laden die Galerien in Mitte mit hochkarätigen Ausstellungen zum Rundgang ein

Zu den Besonderheiten der Berliner Kultur gehört, Etats für Veranstaltungen so knapp zu kalkulieren, dass für Werbung im Stadtbild nur sehr wenig Geld übrig bleibt. Da macht das Art Forum leider keine Ausnahme. Wer je während der Kunstmesse in Köln war und dort überall Fahnen, Banner und Plakate der Art Cologne bemerkt hat, der weiß, was in der Hauptstadt fehlt: Fahnen, Banner und Plakate, die natürlich nicht nur Aufmerksamkeit erregen, sondern auch dem Ganzen einen unübersehbar festlichen Charakter verleihen. Aber Berlin ist nun einmal die Stadt der Suchenden und deshalb muss man hier die Augen aufsperren und die Ohren spitzen, wenn man etwas wissen will. Oder man achtet auf die kleinen Dinge, die leichten Sinnverschiebungen und unmerklichen Veränderungen, welche signalisieren, dass der Alltag sich gewandelt hat, und sei es nur für kurze Zeit.

Und so ist auch im Galerienviertel rund um die Auguststraße zu spüren, dass am anderen Ende der Stadt der Kunsthandel temporär Quartier bezogen hat: Plötzlich bemühen sich die Galeriemitarbeiter ganz besonders um Besucher und geben gerne lange Erklärungen ab. Oder sie reden so lautstark über die Verkäufe der letzten Tage, so dass man gar nicht anders kann, als sich angesprochen zu fühlen: Ist im Grunde nicht jeder ein Sammler? Fast scheint es so.

In dieses Bild passt der Rundgang, zu dem heute die in Mitte ansässigen Galeristen einladen. Zwar geht die Zusammenarbeit schon längst nicht mehr so weit, dass alle am selben Tag Vernissage feiern, so wie es ursprünglich einmal die Idee war. Auf der anderen Seite hat man aber durchaus den Eindruck, die Galerien lockten ihr Publikum in diesen Tagen ganz speziell mit guten Namen und aufwändigen Präsentationen.

Da erwarten einen eine ganze Reihe von zugkräftigen alten Bekannten. Die Galerie neugerriemschneider zeigt neue Trash-Plastiken von Isa Genzken, in denen die Künstlerin die verschiedensten Einflüsse und Reminiszenzen ironisch verarbeitet hat: vom Konstruktivismus bis zu den Young British Artists, vom Nike-Marketing bis zur coolen Minimal-Art der dritten Generation, das alles im Diorama-Stil eines Naturkundemuseums (Linienstraße 155). Drei Häuser weiter stellt Barbara Wien Auflagenkunst von dem Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss aus, die immer einen zweiten Blick wert sind (Linienstraße 158). Gleiches gilt für die neuen Fotoarbeiten von Lois Renner bei Kuckei und Kuckei, die in ihrem zweiten Raum im Souterrain mit dem subtil modifizierten malerischen Realismus des jungen Österreichers Ingmar Alge glänzen (Linienstraße 158).

Manche dieser Ausstellungen wurden in dieser Zeitung bereits ausführlich gewürdigt, wie die den Betrachter ziemlich verunsichernden, seltsam seelenlosen Aktfotografien von Vanessa Beecroft (Galerie Sander, Tucholskystraße 38), die Gemälde von Rainer Fetting und Elvira Bach bei Markus Deschler (Auguststraße 61), oder auch die verstörenden Bilder zum Thema Gewalt von James Higginson bei c/o Berlin (Linienstraße 144). Andere Höhepunkte werden in den nächsten Wochen noch eingehend rezensiert, wie etwa die Landschaften des Schweizer Malers Albrecht Schnider bei griedervonputtkamer (Sophienstraße 25) oder die Fotografien von Alfred Seiland in der Galerie Kicken (Linienstraße 155).

Eine dagegen eher lokale Berühmtheit war bisher Laura Kikkauka, die Königin des Berlin-Plüsch, die in der Neuen Aktionsgalerie zwei raumgreifende Installationen aufgebaut hat. In der einen greift die Kneipenbetreiberin und Künstlerin in jeder erdenklichen unvorstellbaren Form das Motiv der Glühbirne auf, die zweite Installation steht offenkundig unter dem Motto des White Cube, denn alles darin ist weiß. Wahrscheinlich wird es noch eine Weile dauern, bis die Verbindung zwischen Laura Kikkaukas Kunst und der angelsächsischen Literatur angemessen wahrgenommen wird. Eines aber steht fest: Die Bar in Douglas Adams „Per Anhalter durch die Galaxis“ kommt als Vorbild zumindest in die engere Auswahl (Auguststraße 20).

Einen bunten Strauß an Kontexten und Querverweisen bieten auch Christine Hill mit ihrer Volksboutique bei Eigen und Art (Auguststraße 26) sowie die dänische Malerin und Collagistin Evren Tekinoktay in der Zwinger Galerie, die sich freilich im Unterschied zu Kikkauka des Humors nur insoweit bedient, als der sich gut als Bindemittel für ambivalente Inhalte eignet. Tekinoktays Bilder handeln von weiblicher Identität zwischen Gebären und Prostitution und sind daher eigentlich alles andere als lustig gemeint (Gipsstraße 3). Ziemlich luftig, geistreich und humorvoll geht es dagegen in der Gemeinschaftsausstellung der Gruppe Nurr bei Boris Abel zu, die man auf keinen Fall versäumen sollte. Allein schon deswegen, um nicht Frederik Foerts Arbeit zu verpassen: Schaut ein bisschen aus wie ein Tinguely für kleine Menschen, bereitet aber auch Erwachsenen wundervolles Vergnügen – ein Apparat, ein eindrucksvoll elastischer Meterstab und eine Karstadt-Tüte, fertig ist die Winkmaschine, die dazu auch noch toll Geräusche produzieren kann (Sophienstraße 18).

Im Hinterhof dann bei Ochs und Prüss großer Ernst, Erhabenheit, das Verstreichen von Zeit und die Vergeblichkeit, sie anzuhalten, die Dinge zu bewahren, die Menschen in ihrem Inneren sichtbar werden zu lassen – all das steckt in den ergreifenden Fotografien des Südkoreaners Kyungwoo Chun. Der seit einiger Zeit in Bremen lebende Chun stellt mittels extremer Langzeitbelichtung Porträts her, die tief berühren. Es ist selten, dass dem Betrachter Minuten, Stunden, Tage so materiell erscheinen wie hier in diesen dunklen, schemenhaften Bildern, auf denen Antlitze verschwommen aus dem Hintergrund nach vorne treten und einen glauben machen, gerade zum Zeugen übernatürlicher Vorgänge zu werden. Manchmal benötigt Chun mehrere Tage für ein Porträt, manchmal kombiniert er einzelne Fotos und fügt sie nachträglich zu Gruppenaufnahmen zusammen, immer jedoch schwingt dabei ein überzeitliches Scheitern mit, das losgelöst ist vom Individuum und von der Gegenwart (Sophienstraße 18).

Galerienrundgang in Berlin-Mitte, heute zwischen 17 und 21 Uhr.

Ulrich Clewing

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