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Kultur: Funkelsteine

Menahem Pressler mit den Berliner Philharmonikern.

Es ist ein spätes Debüt, das Menahem Pressler bei den Berliner Philharmonikern gibt. Doch, Gottseidank, kein zu spätes. Vor gut 90 Jahren in Magdeburg als Max Jacob Pressler geboren, wurde der Pianist als Jugendlicher aus seiner Heimat vertrieben, deren Sprache er nie ablegte und deren Staatsbürgerschaft er seit 2012 wieder trägt. Als Kopf des Beaux Arts Trio schrieb er Musikgeschichte über Jahrzehnte hinweg. Noch heute ist der kleine Mann mit den vom Lachen geformten Wangen unermüdlich unterwegs, als Solist, Begleiter, Lehrer. Dass er nun erstmals mit den Philharmonikern spielt, war ein Herzenswunsch Simon Rattles. Leider ist nicht er Presslers Partner am Pult, sondern Semyon Bychkov, der keine besondere Gabe zur Empathie besitzt.

Als Kammermusiker liebt Pressler die Rolle des Regisseurs, der seine Mitspieler mit herausfordert, blitzschnell die Dynamik neu abmischt, aufblüht, wenn sich die Atemzüge vereinen. Auf all das muss er während Mozarts 17. Klavierkonzert G-Dur KV 453 verzichten. Dirigent Bychkov steht in jeder Hinsicht zu weit entfernt von seinem Solisten und dessen musikalischer Weisheit. Dabei ist das Stück klug gewählt, es funkelt vor harmonischen Wendungen, in denen sich geklärte Heiterkeit und melancholische Einblicke spiegeln – ein Stück für Pressler und sein Talent zum musikalischen Glück. Doch freigestellt vom kammermusikalischen Dialog gerät unter seinen Händen alles zu einer Fantasie, zur fließenden Erinnerung, aus der nur kleine spitze Steinchen in die Gegenwart ragen. Bychkov schreitet stoisch über sie hinweg.

Nach Presslers berührendem Dankeslächeln macht sich der Maestro auf in die Eiseskälte, in die Schostakowitsch den Platz vor dem St. Petersburger Winterpalais taucht. Seine 11. Symphonie gedenkt offiziell der Opfer des zaristischen Blutsonntags 1905, doch es ist all jenen gewidmet, die den Glauben verloren haben angesichts der Gräueltaten gegen das Volk. Aus dem Wechsel von Vorahnung und Eruption schlägt Bychkov weitaus weniger Funken als es Sakari Oramo gelang, der 2005 die letzte Begegnung der Philharmoniker mit der 11. leitete und mit den Musikern zornige Blitze auf einen finsteren Planeten zu schleudern vermochte. Ulrich Amling

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