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Kultur: Fußball ist unser Leben

Von Mathias Heybrock Im Fernsehen werden seit einiger Zeit Nike-Spots gezeigt, die die Fußball Weltmeisterschaft in Korea und Japan als einen Gladiatoren-Streit zeigen. Der ehemalige französische Stürmerstar Eric Cantona tritt ganz seinem exzentrischen Image entsprechend als Maitre de plaisir eines Wettkampfes auf, bei dem er mit diebischer Freude die weltbesten Spieler von heute in einem engen, vergitterten Käfig aufeinander hetzt.

Von Mathias Heybrock

Im Fernsehen werden seit einiger Zeit Nike-Spots gezeigt, die die Fußball Weltmeisterschaft in Korea und Japan als einen Gladiatoren-Streit zeigen. Der ehemalige französische Stürmerstar Eric Cantona tritt ganz seinem exzentrischen Image entsprechend als Maitre de plaisir eines Wettkampfes auf, bei dem er mit diebischer Freude die weltbesten Spieler von heute in einem engen, vergitterten Käfig aufeinander hetzt. Bis nur noch ein Team übrig bleibt.

Wenn Nike seine spektakulären Werbe-Clips schaltet, steht nicht nur das nächste große Turnier vor der Tür. Sie sind auch ein ästhetisches Fanal. Denn bald hat die gesamte Werbung kein anderes Thema mehr als die allgemeine Fußballitis, wie es die Konkurrenz von Adidas in ihrer durchaus ebenbürtigen Nachzüglerkampagne nennt. Dort treten all jene auch im Schlaf noch nach dem Ball, die nicht bei Nike unter Vertrag stehen. Dass in beiden Fällen keine deutschen Spieler mit von der Partie sind, macht bereits hinreichend klar, was man unserem Team bei dieser WM zutraut.

In den ambitionierten Clips der Branchenführer, die regelmäßig kleine Meisterwerke ihrer Gattung sind, wird freilich immer wieder aufs Neue demonstriert, wie atemberaubend Fußball im Film inszeniert werden kann. Beide sind Massenphänomene, deren Erfolgsgeschichte Ende des 19. Jahrhunderts begann, auf dem Höhepunkt der Industrialisierung. Mit deren Erbe schmücken sich noch heute Fußballclubs wie Schalke 04, Celtic Glasgow oder FC Liverpool, obwohl sich weder Spieler noch Publikum aus der Arbeiterschicht rekrutieren. Wobei inzwischen vielleicht gilt, dass selbst der spektakulärste Kino-Erfolg nicht in demselben Maß Tagesgespräch in Kantinen und Kneipen wird wie das bei einem WM-Spiel der Fall ist.

Umso spannender ist es, dass das Arsenal zur WM eine Fußballfilm-Reihe zusammengestellt hat. Sie erlaubt, wenigstens ein bisschen an der Aura der Unterhaltungsindustrie Fußball zu partizipieren, in der höchste ästhetische Ansprüche auf und neben dem Rasen den größten Erfolg garantieren. Und wo wäre eine solche Retrospektive durch ein Jahrhundert Fußball-Geschichte besser aufgehoben, als in einem Kino, das den gleichen n trägt wie der diesjährige Meister aus dem Mutterland des Fußballs, Arsenal London.

Mit neun Filmen in vier Wochen kann das Kino natürlich nur eine kleine Auswahl dessen zeigen, was das Subgenres Fußballfilm zu bieten hat. Doch ist sie schon allein deswegen über jeden Verdacht erhaben, weil das Filmmuseum Berlin einige absolute Raritäten ausgegraben hat, die man sonst nie zu sehen bekommt. Etwa das Stummfilmfragment „König der Mittelstürmer“ von 1927, in dem eigentlich nur nebenbei Fußball gespielt wird, während es vor allem um einen Konflikt zwischen Vater und Sohn geht. Anschließend ist Zoltan Kordas „Die elf Teufel“ aus dem gleichen Jahr zu sehen, mit Gustav Fröhlich in der Hauptrolle. Er spielt einen von einem reichen Proficlub umworbenen Stürmer, der gegen alle Anfechtungen - Geld und eine schöne Frau - seinem Verein und seiner Verlobten treu bleibt.

Mit „Der springende Punkt ist der Ball“ stellt das Filmmuseum seine Reihe unter ein Motte von philosophischer Weisheit, die dem „Fußballprofessor“ Dettmar Cramer zugeschrieben wird. Freilich strafen die meisten Fußballfilme sie auf eine fast unverschämte Weise Lügen. Denn entgegen den Beteuerungen, dass sich alles Wesentliche „auf dem Platz“ ereigne, interessieren sich Filme für das Spiel selbst häufig nur am Rande. Es mag die Puristen bedrücken, dass stattdessen oft sozialhistorische Aspekte im Vordergrund stehen, doch ist Fußball ein gesellschaftliches Phänomen. Das demonstriert auch ein schönes Porträt jener grandiosen Mannschaft des „Dynamo Kiew“ von Alexandra Gramatke und Barbara Metzlaff (26. Juni), die 1975 den hoch favorisierten FC Bayern München im Supercup bezwang.

Auch Aysun Bademsoys 1997 entstandene Dokumentation „Nach dem Spiel“ (20. Juni) über den türkischen Frauenfußballverein Agrispor steht in der Tradition der Sozialreportage. Der Sport gibt ihr Gelegenheit, von den Emanzipationsbemühungen junger türkischer Mädchen zu erzählen, die auf dem Platz ein Selbstbewusstsein entwickeln, das mit traditionellen Rollenmustern nur schwer zu vereinbaren ist. Spätestens nach der Heirat erwartet man von ihnen, mit dem Sport aufzuhören. Darunter leidet auch der Verein, dem die viel versprechendsten Spielerinnen regelmäßig entrissen werden. Der Mangel an Kontinuität und Respekt für die Leistungen der Mädchen prägt Frauenfußball allgemein.

Den ultimative Fußballfilm hat der unvergleichliche Hellmuth Costard gedreht, ein Protagonist des neuen deutschen Films, der vor zwei Jahren an Krebs starb. „Fußball wie noch nie“ heißt sein Werk und das ist wirklich nicht zuviel versprochen. Denn tatsächlich zeigt er nichts anderes als die zwei Halbzeiten einer Begegnung zwischen Manchester United und Coventry aus dem Jahr 1970. Der Clou dabei ist, dass sich die sechs Kameraleute dabei auf einen einzigen Spieler konzentrieren: Den legendären Iren George Best, der als 17-Jähriger nach Manchester kam und dort zu einem genialen Stürmer avancierte, freilich aber mindestens so viel Aufsehen durch seine Alkoholexzesse erregte.

1970 hatte dieser Mann seine glanzvollen Tage denn auch schon lange hinter sich. Man sieht einem dicken Kerlchen zu, dass an der Grenze zum gegnerischen Strafraum steht und durch heftige Armbewegungen deutlich macht, dass er angespielt zu werden wünscht. Dann kommt der Pass - Best setzt zum Dribbling an, vertändelt aber den Ball und bleibt darauf tatenlos stehen, um auf die Rückeroberung des Spielgerätes durch seine Teamgefährten zu warten. Nun beginnt das Ritual von vorn. Erstaunlicherweise gelingen diesem faulen Sack über die ganze Spiellänge betrachtet aber doch einige bemerkenswerte Sachen und er schießt schließlich sogar ein Tor.

Der Film ist natürlich schon allein deswegen interessant, weil man an dem Laufverhalten von George Best auch die taktische Entwicklung ablesen kann, die der Fußball seit den Tagen eines Gerd Müller genommen hat. Heute muss jeder Stürmer, und sei er noch so berühmt, sich auch am eigenen Strafraum bewähren. Würde man heute ein ähnliches Spielerporträt drehen, wäre es längst nicht so monoton, weil Spieler flexibel und variantenreich agieren anstatt nur starr ihre Position zu halten.

Costard freilich hat uns mit seinem Experiment einen Film geschenkt, den auszuhalten nicht ganz einfach ist. Man braucht schon eine gewisse Frusttoleranz. Doch als wahrer Fan erweist sich, wer dieses sperrige Meisterwerk auch in seinen zähen und deprimierenden Phasen nicht im Stich lässt. Zur Belohnung darf man hinterher sagen, man sei dabei gewesen. Es fällt einem umso leichter, als man zur Entschuldigung nicht auf eine WM-Begegnung am Abend verweisen kann, die man diesem Fußballminimalismus unbedingt hätte vorziehen müssen. Die Begegnungen finden schließlich alle vormittags statt.

„Der springende Punkt ist der Ball“, bis 28.6. im Arsenal (Sony Center). Heute: „Der König der Mittelstürmer“ (Fritz Freisler) und „Die elf Teufel“ (Zoltan Korda) um 19 Uhr.

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