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Blick von fern. Szene aus "Antonio Das Mortes" von Glauber Rocha.

© trigon-film

Fußball und Film: Es muss nicht immer Fußball sein

Leidenschaft wie Feuer: Eine Filmreihe im Zeughauskino zeigt, wie Deutsche und Brasilianer voneinander träumen.

Zwischen Deutschland und Brasilien gibt es intensive Fußballbeziehungen. Und Handelskontakte. In Sachen Film aber scheint seit Jahrzehnten allenfalls eine Art Fernbeziehung drin, über die geografische und kulturelle Distanz hinweg.

Die Kuratoren Wolfgang Fuhrmann und Philip Stiasny aber, die für das Berliner Zeughauskino eine Reihe über die deutsch-brasilianischen Filmbeziehungen zusammenstellten, kamen beim ersten Brainstornming auf stattliche 250 Titel. 20 davon haben sie nun unter dem hübschen Motto „Wo Leidenschaft wie Feuer brennt“ ausgewählt. Heinz Rühmann trällert die Zeile im Klamaukfilm „Charleys Tante“ (1956): „In meinem Heimatland Brasilien platzt jeder Mann vor Temperament. Drum zieht es mich so nach Brasilien, wo Leidenschaft wie Feuer brennt.“

Die interkontinentale Beziehung geht zurück bis ins frühe 19. Jahrhundert, als verarmte Deutsche nach Brasilien auswanderten – heute haben zwölf Millionen Brasilianer deutsche Wurzeln. Edgar Reitz, dessen Alterswerk „Die andere Heimat – Chronik einer Sehnsucht“ dieses frühe Kapitel rekonstruiert, wird am Sonntag zur Vorführung erscheinen. Einem Deutschen auch, dem Ethnografen Theodor Koch-Grünberg, verdanken wir die ersten überlieferten Filmaufnahmen vom Amazonas; sie entstanden 1913.

Als nach 1933 deutsche Filme weltweit boykottiert wurden, versuchten die Nazis verstärkt, das brasilianische Publikum für sich zu gewinnen. Gegen die Konkurrenz aus Hollywood aber waren sie machtlos: 1937 exportierten die USA zehnmal mehr Filme nach Brasilien als Deutschland. Dennoch wurden in mehreren brasilianischen Städten UFA Palácios errichtet, die noch heute so heißen. Sympathisanten und Verfolgte des NS-Regimes lebten mitunter Tür an Tür. Stefan Zweig gehörte zu den rund 60 000 jüdischen Emigranten, die hier Zuflucht fanden. Rüdiger Vogler verkörpert ihn in Sylvio Backs Film „Lost Zweig“ (2002), der die letzten Lebensjahre des Dichters behandelt.

Lange Zeit blieb Brasilien eine Traumwelt für die Deutschen, die sich mit dessen Rekonstruktion in den Spandauer CCC-Studios zufriedengaben. Für Kurt Neumanns Kriminal- und Revuefilm „Stern von Rio“ (1955) wurde ganz Berlin nach dunkelhäutigen Komparsen abgesucht und Johannes Heesters „brasilianisch“ geschminkt. Derart exotischer Kitsch ließ sich durchaus mit Realismus verbinden: In Wolfgang Schleifs „Weit ist der Weg“ (1960) nimmt sich Freddy Quinn eines schwarzen Waisenjungen an, er bekämpft Verbrecher und singt viel. Sein Geld verdient er auf dem Bau, statt am Strand zu liegen.

Zu der Zeit machte das brasilianische Cinema Novo Furore – ein explizit antikapitalistisches, revolutionäres Kino, das sich am sowjetischen Revolutionsfilm, am italienischen Neorealismus und an der Nouvelle Vague orientierte. Seinen Höhepunkt erreichte es mit Glauber Rochas Agitprop-Western „Antonio das Mortes“ (1969). Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ er bei Werner Herzog und bei Rainer Werner Fassbinder, dessen wenig bekanntes Frühwerk „Niklashauser Fart“ (1970) ganze Passagen aus „Antonio das Mortes“ nachstellt.

Fassbinder erzählt die Geschichte eines fränkischen Hirten aus dem Spätmittelalter, der die Gier der Fürsten und des Klerus anprangert und Zehntausende für eine Wallfahrt mobilisiert. Seine Hinrichtung als Ketzer findet im Film auf einem Schrottplatz statt, womit Fassbinder die Relevanz des Stoffes für die Gegenwart bezeugen wollte. Insgesamt aber trieb er die Verfremdungseffekte derart auf die Spitze, dass kaum einer mehr die politische Botschaft wahrnahm.

Nach Exotismus und Agitprop ist in die deutsch-brasilianischen Filmbeziehungen unterdessen Normalität eingekehrt. Junge Regisseure, die in beiden Kulturen zu Hause sind, analysieren distanziert bis amüsiert die Unterschiede. Manche werden nun als Gäste erwartet – und ihre Filme werden, ein glücklicher Einfall, mit einem Vortrag aus brasilianischer Sicht eingeführt.

Bis 14. Juni, im Zeughaus Unter den Linden. Details: www.zeughauskino.de

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