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Kultur: Fußball und Geld: Sie sind Virtuosen, nicht mehr Vasallen

Geld verdirbt den Charakter, heißt es. Dass es im Fußball gleich das ganze Spiel verderbe, ist ein Vorwurf mit Tradition.

Geld verdirbt den Charakter, heißt es. Dass es im Fußball gleich das ganze Spiel verderbe, ist ein Vorwurf mit Tradition. Wenn in deutschen Stadien ein Spitzenteam zwei Mal verliert und es an Einsatz mangeln lässt, werden die Spieler auf Transparenten als "Scheiß-Millionäre" beschimpft, und Boulevard-Blätter geißeln die "Legionärsmentalität" von "Söldnertruppen". Das Misstrauen gegenüber der Kommerzialisierung des Massensports ist zu einem Allgemeinplatz geworden - selbst wenn sie von denen angestimmt wird, die die Verwandlung des Rasenspiels in Entertainment am eifrigsten vorangetrieben haben.

Das Bild, in dem die Vorbehalte kulminieren, zeigt den Profi als Manager seiner selbst, als eigennützigen self made man. Ingeborg Lüscher Videofilm "Fusion", der jetzt in der Mailänder Fondazione Trussardi vorgestellt wurde, spielt mit diesem Gegensatz von Mannschaftsgeist und Einzelkämpfer, Wohlstand und Schlammschlacht und treibt ihn bis zur Ununterscheidbarkeit. Die 64-jährige deutsche Künstlerin, seit Jahren im Tessin ansässig, hat die Schweizer Erstligisten Grasshoppers Zürich und FC St. Gallen mit Maßanzügen ausgestattet, sie im Winterthurer Stadion gegeneinander spielen lassen und daraus einen Film gemacht, der formal einem "ran"-Spielbericht gleicht. Er beginnt mit dem Einlaufen der Mannschaften und endet mit dem Schlusspfiff des Schweizer Fifa-Schiedsrichters Urs Meier. Es gibt Zeitlupen und einen Kommentator. Die Spieler tun das, was sie sonst auch tun, nur eben in feinem Zwirn: laufen, schießen, grätschen, foulen, jubeln. Am Ende tauschen sie ihre nunmehr zerschlissenen und verdreckten Sakkos. Den Verfremdungseffekt der Kostümierung hat die Künstlerin zusätzlich mit Insignien der Geschäftswelt angereichert: . Ein Spieler schießt, ein Laptop fliegt ins Tor; nach einer Roten Karte packt ein Spieler einen Aktenkoffer - Sequenzen, die mit Beethoven-Klaviersonaten unterlegt sind, bei jedem Tor ertönt Münzengeklimper wie in Pink Floyds "Money", und anstelle eines Stadionsprechers schwadroniert die Stimme von US-Präsident Bush über die neue Weltwirtschaftsordnung.

"Im Sport und in der Wirtschaft geht es um die gleichen Qualitäten: Schnelligkeit, List, Ausdauer", sagt Ingeborg Lüscher, die 1972 und 1992 auf der Documenta vertreten war. Die Idee zum Film weckte ironischerweise jenes Medium, das so oft als Totengräber des Fußballs herhalten muss: das Fernsehen. Im November 1999 sah Ingeborg Lüscher, die noch nie in einem Stadion war und "von Fußball nicht die blasseste Ahnung" hat, zufällig eine Fußballübertragung. Als sie die jubelnden Spieler sah, "wusste ich sofort, mein nächstes Projekt handelt von dieser Leidenschaft". Tatsächlich birgt diese Urszene das Programm des ganzen Films in sich; ist der Torjubel im modernen Fußball doch die perfekte Schnittstelle von Authentizität und Inszenierung. Niemals sonst zeigen die Stars ehrliche Freude so offen. Gleichzeitig wird der Moment nach dem Tor immer stärker ritualisiert: durch Küssen des Eherings, Saltos, Sambatänze oder Widmungen, die durch das gelüftete Trikot offenbart werden. Folgerichtig ist in "Fusion" der Torjubel ein Kulminationspunkt. Ein Haufen aus Anzugträgern, aus dem verschmutzte Stollenschuhe herausragen, bebildert die Ambivalenz von Emotion und Künstlichkeit.

Man kann den Film, wie Bruno Pizzul - der italienische Heribert Faßbender - in einem Begleittext schreibt, als "Trost für die alten Liebhaber des Fußballs" sehen, denn das Spiel habe "trotz allem technischen Schnickschnack eine Reinheit seiner selbst behalten". Auch wenn Bazon Brock das an gleicher Stelle rundheraus bestreitet und den Dressman-Kampf als kulturelle Blaupause eines virtuellen Regelwerks beschreibt, das ständig zu seiner Überschreitung auffordere. Trotzdem: Die teuren Anzüge halten die Spieler nicht davon ab, sich in dem Freundschaftsspiel mit Eifer, bisweilen gar kindlicher Freude zu messen.

Was an die Bilder erinnert, mit denen Nike und Adidas Fußballstars in Szene setzen. Die Sportausrüster verkaufen längst mehr als bloß Turnschuhe. In einem Kaufhaus wie "Niketown" werden Images kreiert, die den Fußballer nicht mehr als treuen Vasallen verehren, sondern als Virtuosen, in dem sich die Unschuld des kindlichen Spieltriebs erhalten hat. Wenn Edgar Davids und Oliver Bierhoff im Werbespot den Spielball aus einer Art Drachenburg entführen, die brasilianische Nationalmannschaft selbstvergessen einen ganzen Flughafen umdribbelt oder David Beckham seinen Abfall punktgenau in den Mülleimer zirkelt, soll die Lust am gelungenen Kunststück triumphieren. Diese Spielfreude, die sich in frechen "Straßenfußballern" und Teenie-Schwärmen wie Mehmet Scholl oder Sebastian Deisler wiederfindet, ist zur Metapher der New Economy geworden. Im Aktien-Dribbling der Spekulanten und Investmentprofis ist Broterwerb mit einem Triumphgefühl des Siegers kurzgeschlossen. Gewinnen wird zu einer Frage des Geldes. So werden Schuhe wie Spieler immer teurer, ohne dass es dafür noch nachvollziehbare Gründe gibt.

Als eine Kritik an der Kommerzialisierung des Fußballs will Ingeborg Lüscher "Fusion" dennoch nicht verstanden wissen. "Der Film zeigt den Ist-Zustand, keine Wertung", sagt sie. Das Mailänder Premierenpublikum sah das genau so. Weil die Nobelmarke Trussardi die Anzüge gesponsort hatte, fand die Filmpräsentation in der Fondazione Trussardi statt, direkt neben der Scala und gegenüber der ebenso imposanten Banca Commerciale Italiana. Die Gäste waren mindestens so gut gekleidet wie die Protagonisten des Films. Sie gleichen den VIP-Logen-Besuchern, die bei Sekt und Häppchen einem Gladiatorenkampf beiwohnen, dessen tragischen Momenten sie gleichgültig gegenüber stehen. In ihren Augen ist das Spiel zum gesellschaftlichen Party-Treff geworden, für das die aufrichtige, herzzerreißende Anteilnahme der Fans nur eine ferne, durch Scheiben gedämpfte Geräuschkulisse ist. Ohnehin bemühen sich die Clubs, Fußball für die ganze Familie attraktiv zu machen. Der alte Fan, der 30 Jahre auf demselben Stehplatz mitgefiebert hat, ist verdrängt. Sein Platz wurde von Leuten eingenommen, die mit dem Stadion einen Vergnügungspark verbinden.

In Mailand, wo morgen die Kapitalgesellschaft Bayern München das Finale der Champions League bestreitet und mit der beste Fußball der Welt gespielt wurde, wo das Jonglieren mit Ablösesummen in Millionenhöhe zum Tagesgeschäft gehört, ist die Ehe aus Fußball, Oper und Kapital vollzogen. Und in den Stadien der Stadt ist schon zu sehen, was "Fusion" versinnbildlicht: Dass das große Geld auch einen Zuwachs an Eleganz, Glamour und Sex-Appeal für die Global Players auf dem Rasen mit sich bringt. Auch wenn die bislang nur vor und nach ihrem Auftritt Anzüge tragen müssen.

Malte Oberschelp

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