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Fußnoten: Achillesferse der Doktoren

Die moderne Fußnote ist für das zivilisierte Historikerleben so unentbehrlich wie die Toilette. Wie die Toilette macht es die Fußnote möglich, sich unansehnlicher Aufgaben quasi im stillen Kämmerlein zu entledigen.

Man wird Historiker, wie man auch Zahnarzt wird, indem man eine spezialisierte Ausbildung durchläuft; man bleibt Historiker, wie man Zahnarzt bleibt, wenn die eigene Arbeit bei den eigenen Lehrern, den eigenen Peers und, vor allem, bei den eigenen Patienten (oder Lesern) Anklang findet. Zu lernen, wie man Fußnoten macht, ist Teil dieser modernen Version einer Lehrzeit. Die meisten Historiker beginnen auf kleinem Fuß, während hektischer Wochen, in denen sie Referate schreiben, die im Hauptseminar ihres Professors vorzutragen sind. Die Fußnoten werden dabei nicht vorgelesen, man sieht sie nur: eine verschwommene, eng getippte Textmasse, kaum erkennbar am unteren Ende der Seiten, die sich in den zitternden Händen des nervös mumpfelnden Redners auf und ab bewegen.

Später, in den langen Monaten, die mit der Abfassung einer Dissertation verbracht werden, gelangen die Studenten vom handwerklichen zum industriellen Stil der Fußnotenproduktion. Sie erhoffen sich davon, dass ihr Doktorvater, die anderen Gutachter, die ihre Arbeit zu prüfen haben, und sogar künftige Kollegen und Arbeitgeber sich von den Stunden harter Arbeit in Archiv und Bibliothek beeindrucken lassen, die lange Fußnoten bescheinigen. Wenn sie dann erst einmal ihren Dr. und eine Anstellung haben, bleibt es dabei, dass tätige Historiker Fußnoten produzieren. Historiker, für die das Annotieren zur zweiten Natur geworden ist – wie Zahnärzte, die sich ganz und gar daran gewöhnt haben, Schmerz zuzufügen und Blut zu vergießen –, merken traurigerweise kaum noch, dass sie noch immer Autorennamen, Buchtitel und Schachtel- und Blattnummern unpublizierter Texte ausstoßen.

Die moderne Fußnote ist für das zivilisierte Historikerleben so unentbehrlich wie die Toilette; wie die Toilette scheint sie ein undankbares Thema für ein kultiviertes Gespräch zu sein und erregt Aufmerksamkeit vor allem dann, wenn sie nicht richtig funktioniert. Wie die Toilette macht es die Fußnote möglich, sich unansehnlicher Aufgaben quasi im stillen Kämmerlein zu entledigen.

Ohne Anführungszeichen, ohne Zitathinweis. Fußnoten sind ohnehin nicht üblich in Zeitungen. Eine Plagiatsabsicht oder bewusste Täuschung ist ausgeschlossen. Es könnte höchstens sein, dass der Autor in der Eile vergessen hat, auf Anthony Grafton und sein Buch „Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote“ (Berlin Verlag, 1995, deutsch von H. Jochen Bußmann) hinzuweisen, dem sich auf unerklärliche Weise drei Viertel dieser Glosse verdanken und das – nomen est omen – vor Fußnoten strotzt. Nicht ohne Grund streitet die Wissenschaft über die Entstehung der Fußnote, ist sie doch die Achillesferse des akademischen Arbeitens: Das Fußvolk stolpert darüber, aber auch der General.

Eine

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