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Kultur: Futter aller Festivals

Die „Foreign Affairs“ der Berliner Festspiele.

Ein frischer Herbst wird das. Die neue Intendantin des Hebbel am Ufer, Annemie Vanackere, eröffnet Anfang November ihre erste Spielzeit – es dauert also noch etwas, wegen Renovierungsmaßnahmen. Auch bei den Berliner Festspielen wird umgebaut, und zwar heftig. Ein neues Festival kündigt sich an, es nennt sich „Foreign Affairs“ und ersetzt die bisherige „Spielzeit Europa“.

Der Schnitt ist radikal. Die auswärtigen Affären wirken auf den ersten Blick ins Programm recht intensiv. Vom 28. September bis 26. Oktober, satte vier Wochen, präsentieren die Festspiele 22 Produktionen, an neun davon sind sie als Koproduzenten beteiligt. Spielort oder Schauplatz (es gibt viel interdisziplinär Gemischtes, Performatives und Installiertes) ist nicht allein das Haus der Berliner Festspiele. Die „Foreign Affairs“ greifen in die Stadt aus, sind in den Sophiensälen, im Ballhaus Ost und im Kleinen Wasserspeicher in Prenzlauer Berg zu erleben.

Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele seit Beginn des Jahres, hat Frie Leysen für diese erste Ausgabe der Affären gewonnen. Die Belgierin darf man getrost als Mutter aller Festivalschlachten bezeichnen, sie hat an vielen Orten viel bewegt. Für Berlin stellt sie ein Programm auf die Beine, das sie als „interkontinental und zeitgenössisch“ bezeichnet, dafür habe sie nur unabhängige Künstler engagiert und keine Staatstheaterproduktionen eingeladen. Die Welt im Fokus der Kunst, zwischen Pessimismus und Utopie, Schönheit und Verzweiflung: Documenta-Geist weht durch die „Foreign Affairs“. Vertraute Namen wie Anne Teresa de Keersmaeker, Boris Charmatz und Romeo Castellucci tauchen hier auf – und viele neue , hier noch nicht bekannte Künstler wie der Argentinier Federico León, der mit einer Massenchoreografie das Festival eröffnet. Brett Bailey aus Kapstadt beschäftigt sich mit den „Menschenzoos“ des 19. Jahrhunderts und zeigt eine afrikanische Medea, Rodrigo García lädt zum „Gólgota Picnic“, zwischen Konsumrausch und Glaubenstradition. Fabian Hinrichs nimmt Anlauf zu seinem ersten Soloabend in eigener Regie: „Die Zeit singt dich tot“.

Die Festspiele wollen sich neu erfinden. Fremdgehen und auswärtige Angelegenheiten waren eigentlich schon immer ihr Metier, mit wechselnder Intensität. Es gibt in Berlin ja nicht nur sie, und ein bisschen international war die Stadt wohl schon vorher. Aber Labels sind wichtig, und man spürt hier die gute alte HAUHandschrift: Zwischen Matthias Lilienthal und Frie Leysen passt sowieso kein sehr dickes Programmheft.

Allzu wild verlieben darf man sich wohl nicht. 2013 ist wieder vieles anders, steigt das Festival im Juni/Juli, dann unter der Leitung von Matthias von Hartz. Erfreulich in jedem Fall die neue Preisgestaltung: Ein Ticket kostet 10 oder 15, maximal 25 Euro. Rüdiger Schaper

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