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AFN-Livesendung mit Moderator George Hudak auf dem Wittenbergplatz.

© Alliiertenmuseum

G.I. Disco: Funky Freiheit

Wie amerikanische Soldaten den Pop nach Deutschland brachten: Das Alliiertenmuseum erzählt von Elvis, Disco und dem Sender AFN. Ein Rundgang.

Wie amerikanische Soldaten den Pop nach Deutschland brachten: Das Alliiertenmuseum erzählt von Elvis, Disco und dem Sender AFN Club 50. Starlight Grove. Friendship Lounge. Gator Club. Hi-Lite Recreation Center. Klangvolle Namen, magische Orte. Der „Berlin Observer“ listet ein ganzes Dutzend solcher Clubs auf, in denen amerikanische Soldaten einst tanzten und tranken. Es ging nicht nur – Recreation Center! – um Entspannung, sondern auch darum – Friendship Lounge! –, Freundschaften zu knüpfen, vielleicht sogar deutsch-amerikanische, die damals gerne beschworen wurden. Der Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1975 hängt im Zehlendorfer Alliiertenmuseum in einer Ausstellung, die unter dem Titel „Von G.I. Blues zu G.I. Disco“ von einem besonderen Kulturtransfer erzählt: wie amerikanische Soldaten den Pop nach Deutschland brachten. Von den Siegern ging 1945 eine unwiderstehliche Lässigkeit aus. Sie kauten Kaugummi, trugen olivfarbene, nicht feldgraue Uniformen und schienen den Krieg auch deswegen gewonnen zu haben, weil sie neben den besseren Waffen auch die bessere Musik besaßen. Der Swing von Glenn Miller, Benny Goodman und den Andrew Sisters, die aufgekratzt stampfenden Synkopen von „In The Mood“ oder „Sing, Sing, Sing“ hatten über Stechschritt und Marschmusik triumphiert.

Die Ausstellung beginnt mit einer Vitrine, in der „V-Discs“ liegen, Schallplatten mit Livemitschnitten von Radiokonzerten, wie sie zwischen 1942 und 1949 in Army-Clubs und über den Soldatensender AFN verbreitet wurden. Der Zweite Weltkrieg war auch ein Propagandakrieg, der im Äther ausgetragen wurde. Das „V“ stand für „Victory“, Sieg, und der Jazz leistete seinen Beitrag beim Sieg über die Nazis, die den Jazz bekanntlich hassten. „Wenn ein Jeep vorbeigefahren ist, hat der Berliner gewunken. Ich winke heute noch, wenn ich ’nen Amerikaner sehe“, erinnert sich Knud Kuntze, einer der Zeitzeugen, die an den Videostationen der Ausstellung zu erleben sind. Kuntze alias Lord Knud, der als Bassist der Beatband The Lords und als Radiomoderator beim Rias zur Lokalberühmtheit aufsteigen sollte, ist in Lichtenrade in Sichtweite der amerikanischen Kasernen aufgewachsen. Um die Sendung „Open House“ im AFN nicht zu verpassen, nahm er sein Kofferradio mit in die Schule. Es war für ihn die einzige Möglichkeit, Rock ’n’ Roll zu hören, der in den fünfziger Jahren von keinem deutschen Sender gespielt wurde. So kündeten die Songs auf den Frequenzen der Siegermacht von einem anderen, freieren, besseren Leben.

Das Prunkstück der Ausstellung hängt an einem Bügel und sieht wie frisch gewaschen aus. Es ist eine US-Army-Jacke, über der rechten Brusttasche prangt das Namensschild: „PRESLEY“. Als Elvis Presley von 1958 bis 1960 bei der 3. US-Panzerdivision im hessischen Friedberg seinen Wehrdienst leistete, wurde er zum Mittelpunkt einer bis dahin in Deutschland unbekannten Pop-Mania.

Die Army hat Elvis gezähmt

AFN-Livesendung mit Moderator George Hudak auf dem Wittenbergplatz.
AFN-Livesendung mit Moderator George Hudak auf dem Wittenbergplatz.

© Alliiertenmuseum

Teenager belagerten die Kaserne und die Wohnung des Stars in Bad Nauheim, es kamen so viele Fanbriefe, dass die Post eigens einen Beamten zur Bearbeitung abstellen musste. Elvis war ein guter Soldat, er erhielt Belobigungen und wurde zum Sergeant befördert. Nachher drehte er den teilweise in Frankfurt spielenden Film „G. I. Blues“ und konnte, wie es der Ausstellungstext lakonisch formuliert, „seine Musikkarriere nahtlos fortsetzen“. Das stimmt, aber vielleicht war die Fortsetzung etwas zu nahtlos. Denn der Militärdienst hatte den Rock’n’Roll-Rebellen domestiziert, er war kein Bürgerschreck mehr. Richtig harter, böser Rock kommt bald darauf von fünf ehemaligen G. I.s, die sich in einer Kaserne in Gelnhausen kennengelernt hatten, in Mönchskutten und mit Tonsurfrisuren auftreten und sich The Monks nennen. Ihre Musik ist das Gegengift zu den Beatles, eine Mischung aus Rückkopplungsgefiepe und herausgeschrieenen Antikriegsparolen. „Am Samstag droht die Mattscheibe: Die Monks machen Musik mit der Axt“, warnt ein Boulevardblatt vor einem Fernsehauftritt der Avantgardisten im „Beat Club“. In den sechziger Jahren bekommt die deutsch-amerikanische Freundschaft Risse, Pop wird zum Medium der Protestkultur. „AMIS RAUS AUS VIETNAM!“, fordert die Zeitschrift „Signal“, das Organ der West-Berliner FDJ. Und ein Demonstrationsplakat illustriert die Parole „Gegen die Mörder“ mit Fotos vom Massaker in My Lai und einem Stars & Stripes-Banner, das mit dem Blut von Laborratten aus dem physiologisch-chemischen Institut der Universität Bonn verschmiert ist.

Und die Musik? Wird in den Army- Clubs bald nicht mehr von Livebands gespielt, sondern von DJs aufgelegt. Mit der DJ-Culture bricht die große Ära der G.-I.-Disco an. „In den Clubs waren wir ,Deck Sharks’. Statt zu tanzen, betrachteten wir den DJ“, erzählt Michi Beck von den Fantastischen Vier. Die G.-I.-Discos fungieren als musikalische Vorposten, hier erreichen Soul, Funk, Disco und HipHop zum ersten Mal deutsche Tanzböden. Und Zaungäste wie Beck, der in Stuttgart amerikanische Diskotheken besucht, beginnen diese neue, aus den afroamerikanischen Ghettos von New York und L. A. stammende Musik zu adaptieren. Neben einem frühen, riesenhaften Ghettoblaster aus dem Jahr 1983 präsentiert die Ausstellung auch handsignierte Adidas-Sneakers der Rapper von Run DMC sowie eine Goldene Schallplatte, die die Münchner Disco-Sängerinnen von Silver Convention 1975 für ihren amerikanischen Nummer-1-Hit „Fly, Robin, Fly“ bekamen.
Zu verdanken ist die kulturhistorisch weit ausgreifende, liebevoll inszenierte Ausstellung dem Engagement von Fans. Die Initiative ging von den DJs Karsten Grossmann und Daniel W. Best aus, einem deutsch-amerikanischen Duo, das unter dem Namen G. I. Disco regelmäßig in Berliner Clubs auftritt. Die amerikanischen Soldaten sind 1994 aus Berlin abgezogen. Damals schloss auch der Starlight Club, das Eingangsschild ging später in den Besitz des Alliiertenmuseums über. Es zeigt ein Armeewappen und den Berliner Bären und hängt jetzt am Ausgang der Ausstellung. Schön war die Zeit.
Alliiertenmuseum, Clayallee 135 (Zehlendorf), bis 27. April 2014, täglich außer montags 10–18 Uhr.

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