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Kultur: Galan im Luxus-Loft

Dieser Puccini würde den Berlinern gefallen: Robert Carsens „Manon Lescaut“ in Wien

Am Ende, als der Buhsturm von den Rängen der Wiener Staatsoper losbrach, wird Ioan Holender vielleicht einen Moment an Berlin gedacht haben. Und daran, dass es andersherum vielleicht doch besser gewesen wäre: Ob die konservative Inszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“, die er als Chefberater der Deutschen Oper anempfohlen hatte, nicht doch besser in Wien aufgehoben wäre. Und ob im Gegenzug Robert Carsens entschlossen modernisierte Version des Stücks nicht eigentlich nach Berlin gehört hätte.

Denn das Berliner Premierenpublikum hatte vor einem halben Jahr die schunkelnden Dreispitzträger in Gilbert Deflós matt historisierendem Rampentheater fast ebenso heftig abgelehnt, wie den Wienern nun der Prada-Glamour missfiel, in den Carsen seine Manon hüllt. Und während der Kurs zurück in die sechziger Jahre, den Holender dem Charlottenburger Haus vor dem Amtsantritt von Kirsten Harms verpasst hatte, in Berlin ins künstlerische Abseits führt, scheinen die Wiener wiederum resistent gegen das forschere Regietheater, das Holender ihnen als ihr Generaldirektor zumutet.

Am eigenen Wiener Haus gestattet Ian Holender durchaus nicht bloß das goldbortenlastige Ausstattungstheater, mit dem man die traditionsreiche Staatsoper meist in Verbindung bringt. Vielmehr hält er Anschluss an die Regietheaterszene – in der beruhigenden Gewissheit, dass sein Haus durch die Touristen aus aller Welt ohnehin glänzend ausgelastet ist. In der nächsten Saison wird dort beispielsweise der australische Regie-Frechdachs Barrie Kosky einen neuen „Lohengrin“ inszenieren – der nächste Buh-Orkan ist vorprogrammiert.

Dabei braucht es offenbar gar nicht so viel, um die Wiener Opernseele zu reizen: Robert Carsen liefert in seiner „Manon Lescaut“ keineswegs genialisch-provokative Willkürakte, sondern nur eine gescheite, über weite Strecken gut funktionierende Umsetzung des Stoffs in die Gegenwart. Das Gasthaus, in dem sich der Student Des Grieux und das Landei Manon treffen, ist zur schicken Shopping Mall geworden, der Palast von Manons reichem Galan Geronte zum Luxus-Loft eines zwielichtigen Magnaten. Und Puccinis Pseudo-Rokoko á la Versace, das Tanzstündchen wird zum Foto-Shooting: „Hier den Kopf etwas höher, jetzt lächeln!“ Es ist das Blitzlichtgewitter, nach dem Manon ebenso süchtig wird wie nach dem Glanz der Juwelen.

Wenn dieses fashion victim am Schluss, in kaltem Grünlicht von den Schaufensterpuppen begafft, in der gleichen, nächtlichen Einkaufspassage zu Grunde geht, ist das nur konsequent. Dass Carsen sich zwischendurch hin und wieder an den Vorgaben des Librettos stößt, ist nicht weiter schlimm. Eher erstaunt es, dass sich der kanadische Regisseur bei soviel Realismus die Chance entgehen lässt, das Defilee der zur Deportation verurteilten Prostituierten zum Zuhältergeschäft im großen Stil zu machen. Stattdessen paradieren aufgebrezelte Models in Handschellen – ein Catwalk im goldenen Käfig. Na ja.

Dass Holenders Publikum ihm trotz aller Entrüstung treu bleibt, liegt vor allem daran, dass er die vokalen Gelüste der Wiener in der Regel glänzend befriedigt. Auch auf die Besetzung dieser „Manon Lescaut“ kann man nur neidisch werden: Hatte die Berliner Premiere noch gezeigt, wie schwierig es ist, derzeit erstklassige Puccini-Stimmen zu finden, schöpft man in Wien aus dem Vollen: Da sind die vorzüglichen Hauskräfte – der kernige Bariton Boaz Daniel als Lescaut und Wolfgang Bankl als markant grimmiger Geronte – , doch auch das unglückliche Liebespaar verbreitet eitel Glanz. Der jungen Niederländerin Barbara Haveman nimmt man nicht nur das gefallene Mädchen ab, sie koloriert ihre Manon außerdem mit strahlend klarer Höhe und zarteren, melancholischen Farben: Den Gesangsgourmets sind das etliche Bravos wert. Und einen besseren Des Grieux als Neil Shicoff dürfte es ohnehin nicht geben, wie der 56-jährige New Yorker bei seinem Rollendebüt beweist.

In dieser längsten und heikelsten Tenorrolle Puccinis, die im mittleren und tiefen Register beständig gegen ein massives Orchester kämpfen muss, leistet Shicoff Spektakuläres. So sehr Seiji Ozawa am Pult der Wiener Philharmoniker sich auch bemühen mag, Puccinis üppige Partitur zur sinfonischen Dichtung zu erweitern (mit schönen Einzelbelichtungen, aber eher undramatisch) – für Shicoff scheint das nur ein Anreiz zu sein, sich noch rückhaltloser in seine Partie zu werfen.

Vielleicht fasst sich Ian Holender ja ein Herz und bietet der Deutschen Oper einen „Manon“-Tausch an. Den Tenor müsste er dann aber schon dazugeben.

Jörg Königsdorf

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